Vorsichtige Zurückhaltung

Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf israelische Zivilisten hat eine humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen zur Folge. Aber anders als beispielsweise bei Naturkatastrophen halten sich viele NGOs mit Spendenaufrufen noch zurück. Warum ist das so?

Von Matthias Daberstiel

Am 7. Oktober 2023 griff die Terrororganisation Hamas die israelische Zivilbevölkerung an, tötete über 1.400 Menschen und verschleppte 239 Israelis als Geiseln. Für viele Israelis ist dies ein zweiter Holocaust. Der Historiker Moshe Zimmermann sprach im Deutschlandfunk von einem „Pogrom“. Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sprach sogar vom „dunkelsten Tag in der jüdischen Geschichte“. Das alles lässt die innenpolitischen Probleme Israels gerade in den Hintergrund treten.

Die Reaktion Israels war die Bombardierung des Gaza-Streifens, die Abriegelung von Wasser, Strom, Mobilfunk, Treibstoff und Hilfsgütern. Erst nach tagelangen Verhandlungen dürfen erste Hilfslieferungen nach Gaza. Doch Treibstoff, der für die Dieselaggregate der Krankenhäuser benötigt wird, soll weiterhin nicht geliefert werden. Dieses Vorgehen hat mittlerweile die Kritik an Israel lauter werden lassen. Insbesondere die UN forderte nun sogar einen Waffenstillstand, um der palästinensischen Zivilbevölkerung zu helfen.

Journalisten haben keinen Zutritt

Die Menschen in Gaza sind nach UNICEF-Angaben mittlerweile in einer ausweglosen Situation. Fliehen könne sie nicht. Der Gaza-Streifen gehört zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt. Belastbare Informationen sind Mangelware, denn im Krieg herrscht eher Propaganda als seriöse Information. Aus Gaza sind nur die Meldungen der Hamas und ihrer Gesundheitsbehörde über Opferzahlen zu vernehmen. Nachprüfbar ist das nicht, denn Journalisten haben keinen Zutritt, werden laut Reporter ohne Grenzen sogar angegriffen und getötet.

Erklärung internationaler Hilfsorganisationen

Schon am 13. Oktober, also eine knappe Woche nach dem Terrorangriff, gaben internationale Hilfsorganisationen eine gemeinsame Erklärung ab. Sie forderten eine Einstellung des Bombardements mit Explosivwaffen in bewohnten Gebieten und Möglichkeiten zur Evakuierung. Wegen der Aufrufe des israelischen Militärs, den Norden des Gazastreifens zu verlassen, befürchten sie sogar eine Zwangsumsiedlung der Palästinenser.

Fakt ist, dass durch die Blockade eine Versorgung der Menschen in Gaza nicht sichergestellt werden kann. Chefankläger Karim Khan vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag warnt deshalb, dass die „Behinderung von Hilfslieferungen“ gemäß den Genfer Konventionen ein Verbrechen darstellen könne, das in seine Zuständigkeit falle. Damit meinte er sowohl die Blockade des israelischen Militärs, als auch die Versuche der Hamas, Hilfslieferungen abzuzweigen.

Non-Profit-Organisationen vorsichtig

NGOs, die in Krisengebieten Not- und Katastrophenhilfe leisten, müssen gut abwägen, wie sie Position beziehen. Wohl auch deshalb verurteilen viele Non-Profit-Organisationen zuerst den Hamas-Terror, bevor sie vorsichtige Kritik an Israel üben. Ein Beispiel, wie schmal der Grat ist, zeigt sich in den Aussagen von Sari Bashi, Programm-Direktorin von Human Rights Watch (aktuell im Westjordanland), gegenüber „The New Yorker“: „Ich würde sagen, dass die israelische Regierung leider Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Apartheid und Verfolgung begeht, die zu den Hauptursachen der aktuellen Gewalt gehören. […] Damit möchte ich jedoch keine Form der Gewalt irgendwie rechtfertigen.“

Für viele Israelis klingt das eher nach Relativierung der Verbrechen der Hamas. Bashi sagt aber auch im selben Interview: „Um es klar zu sagen: Die Kämpfer in Gaza – einschließlich der Hamas und des Islamischen Dschihad – begehen eindeutig Kriegsverbrechen.“ Auch die Stellungnahme von Amnesty International thematisiert die Ursache des Konflikts: „Amnesty International appelliert, die Ursachen eines Jahrzehnte währenden Konfliktes zu adressieren, um die Spirale der Gewalt in Israel und Palästina zu beenden. Dazu gehört unter anderem die Aufhebung der seit 2007 andauernden völkerrechtswidrigen Blockade des Gazastreifens sowie des Systems der Apartheid gegenüber den Palästinenser*innen.“ Gleichzeitig zeigt Amnesty die von der Hamas begangenen Verbrechen auf.

Zurückhaltung bei Spendenaufrufen

Spendenaufrufe für Gaza sind anders als in vergangenen Konflikten aktuell nicht sehr häufig. Aktion Deutschland hilft ruft zur Unterstützung in Israel, Gaza und im Westjordanland auf. Durch ihre vielen Bündnisorganisationen kann sie das auch leisten. Einschließlich der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, die für betroffene israelische Familien gemeinsam mit IsraelAid um Spenden bittet. Die Johanniter beklagen die Zerstörung der Augenklinik St John Eye Hospital in Gaza. Susanne Wesemann, Leiterin der Johanniter-Auslandshilfe, sagt dazu: „Nach dem humanitären Völkerrecht dürfen Schulen, Krankenhäuser sowie Hilfsgüterlager und -transporte nicht angegriffen werden. Dies ist für uns unabdingbar.“

Ärzte ohne Grenzen, seit 1979 im Westjordanland und Gaza aktiv, beklagt: „Wir sind aktuell nicht in der Lage, Einsätze koordiniert durchzuführen. Von unseren rund 300 palästinensischen Mitarbeitenden sind einige mit ihren Familien in den Süden gegangen, andere im Norden geblieben, wo sie weiterhin Patient*innen behandeln.“

Fragwürdige Solidaritätsbekundungen

Ganz anders der Frauenverband Courage e.V. aus Wuppertal, der vom Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und Verbraucherschutz als linksextremistisch aufgeführt wird. Liest man nur den ersten Absatz ihrer Stellungnahme, stockt einem der Atem: „Am 7. Oktober 2023 fand ein militärischer Angriff unter Führung von Hamas-Kräften auf Israel statt. Das palästinensische Volk hat das volle Recht auf Widerstand gegen die jahrzehntelange Politik der völkerrechtswidrigen Besatzung, Unterdrückung und Ausbeutung durch Israel.“ Erst im zweiten Absatz erfolgt eine Distanzierung vom Terror der Hamas: „Demokratische Befreiungsbewegungen dürfen sich niemals die Methoden ihrer Gegner zu eigen machen! Deshalb gilt volle Solidarität mit dem palästinensischen Volk, aber keine Solidarität mit islamistisch-faschistischen Kräften.“

Richtig erwischt hat es die Fridays for Future Bewegung (FFF). Der „Stand with Gaza“-Post von Greta Thunberg auf X und Instagram hat die Bewegung diskreditiert. Da kann die deutsche Sektion von FFF um Luisa Neubauer noch so viel Distanz aufbauen: „Unsere volle Solidarität gilt den Jüdinnen und Juden weltweit, und wir verurteilen scharf den Terror der Hamas“, sagte Neubauer der Deutschen Presse-Agentur. „Wir distanzieren uns von den antisemitischen Posts auf internationalen Kanälen nachdrücklich.“ Der Schaden für die Bewegung ist trotzdem angerichtet.

Zivile Opfer auf beiden Seiten

Für Hilfsorganisationen sind Kriegszeiten nie gut. Prof. Georg Schnurbein, Fundraising- und Stiftungsexperte aus der Schweiz, erläutert das Fundraising-Dilemma, das in Kriegen steckt gegenüber der NZZ so: „Gespendet wird vor allem dann, wenn Menschen unverschuldet in eine Notlage geraten.“ In Kriegen sei die Lage oftmals vertrackt. „Für viele Leute ist nicht immer eindeutig, wer Schuld hat. Und auf beiden Seiten des Konflikts gibt es zivile Opfer.“ Humanität und Menschenrechte gelten aber immer für alle Menschen – und Antisemitismus ist auch für Non-Profit-Organisationen nicht zu tolerieren.

Bildquellen

  • Gaza: Aktion Deutschland Hilft
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