Mein Erbe – stiften oder rückverteilen?

Die Diskussion, ob vermögende Menschen auch mehr Verantwortung für die Gesellschaft haben, hat durch die Initiative von Marlene Engelhorn eine neue Qualität erreicht. Die Millionenerbin will ihr Vermögen durch einen Bürgerrat rückverteilen lassen.

Marlene Engelhorn war schon lange klar, dass sie einmal eine Millionen-Erbin sein würde. Als Nachfahrin der Familie Boehringer Mannheim führte daran kein Weg vorbei. Dieses Erbe ärgert sie aber maßlos, wie sie in der Reihe #Impulse Stiften, einem Webtalk ehrenamtlich engagierter Stiftungsexpertinnen und Experten, Ende April deutlich machte. Sie sieht in diesem Erbe ein Systemproblem. Aus ihrer Sicht liegt die Macht in genau diesem Vermögen, und diese Macht vermehrt sich immer mehr. In Österreich gehört bereits einem Prozent der Menschen die Hälfte des gesamten Nettovermögens. 99 Prozent der Menschen müssen sich die andere Hälfte teilen. Das sind fast vier Millionen Haushalte. Eine Ungerechtigkeit, wie sie empfindet.

Steuerliche Ungleichbehandlung

Sie wollte das so nicht stehen lassen und engagiert sich deshalb schon seit einiger Zeit in der Bewegungsstiftung in der AG Steuergerechtigkeit inhaltlich, aber auch finanziell. Nach ihrer Meinung könnte der Staat mehr tun und die Vermögenden besteuern. In Österreich wurde die Vermögenssteuer 2008 komplett abgeschafft. Das führt zu dem „Kuriosum“, wie sie es nannte, dass jeder, der arbeitet, sein Einkommen versteuern muss, aber die Vermögenden auf Reichtum und Erbe keine Steuern zahlen. Prognostiziert wird in den nächsten 30 Jahren eine Erbschaftswelle von 600 Milliarden Euro – nur in Österreich. Eine konservative Vermögenssteuer ab einer Million Euro Vermögen würde dabei sogar nur vier Prozent der Erben überhaupt treffen.

In Deutschland wurde die Vermögenssteuer 1997 ausgesetzt. Eigentlich existiert sie also weiter. Gleichzeitig leiden die Ärmsten stärker unter der Inflation, wohingegen Reiche von Wertgewinnen ihrer Immobilien und Wertpapiere profitieren. Wie in Österreich ist deshalb auch in Deutschland eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Vermögenssteuer. Und ein DIW-Bericht zeigt, dass die Reichen weniger spenden, als sie es könnten. Bedeutet Reichtum also keine Verantwortung mehr?

25 Millionen demokratisch rückverteilen

Und nun kommt Marlene Engelhorn und kündigt an, 25 Millionen Euro ihres Erbes in die Hände von 50 repräsentativ ausgewählten Menschen in Österreich zu legen und diese entscheiden zu lassen, was mit dem Geld passieren soll. Demokratisch und begleitet von Expertinnen und Experten aus der unabhängigen Wissenschaft. Engelhorn selbst verzichtet auf jede Einflussnahme. Sie hätte bestimmte Experten sogar gar nicht gewählt, wie sie verrät. Mit Hilfe des renommierten FORESIGHT Instituts wurden diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die 50 Mitglieder des Rates repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ausgewählt. An sechs Wochenenden werden diese nun diskutieren, was mit dem Geld werden soll. Showdown ist kurz vor dem Start der Fußball-EM am 9. Juni 2024.

Engelhorn sparte bei ihrem Auftritt bei #Impulse Stiften auch nicht mit Kritik an Stiftungen. Sie sieht im Stiftungskapital ein Vermögen, das oft auf der Armut und Ausbeutung von Menschen aufgebaut sei, und nun versucht man „mit Zinsbröseln die Welt wieder gut zu machen und den angerichteten Schaden zu richten. Das ist doch ironisch, oder?“ Auch in der Geldanlage von Stiftungen sieht sie ein weiter so. Genauso wie in der Manifestierung der Machtausübung durch Stiftungen. Denn wohin das Geld geht, entscheidet nicht die Mehrheit, sondern ein Stifter oder eine Stifterin und auch wer zukünftig über die Geldverteilung entscheidet, sei festgelegt: meist Menschen, die selbst wieder finanzielle Macht haben.

Drei Millionen für mehr Demokratie

Diese Machtlosigkeit bei der Vermögensverteilung will sie aufbrechen, und deshalb finanziert sie das gesamte Vorhaben des „Rates der Rückverteilung“ auch mit drei Millionen Euro. Die Experten und auch der Bürgerrat, sogar die Nachrücker in den Bürgerrat, falls einer der 50 ausfällt, erhalten Geld. Alles, um die demokratische und diverse Teilnahme zu ermöglichen und diese Entscheidung nicht nur Menschen zu überlassen, die es sich leisten können, sich ehrenamtlich sechs Wochenenden um die Ohren zu schlagen. 1.200 Euro pro Ratsperson und Wochenende werden ausgezahlt. Demokratische Rückverteilung kostet.

Für Engelhorn ist das nicht die Frage. „Gute Arbeit muss auch gut bezahlt werden!“ Sie will etwas beweisen, und deshalb macht sie den Prozess auch so transparent wie möglich. Sie will eine Bewegung initiieren, die über die Steuergerechtigkeit und die Initiatve „tax me-now“ hinausgeht. Und die kritische Empörung aus dem konservativen Lager beflügelt sie regelrecht. Sie ist sich sicher, dass es anderen „Next-Gen-Erben“ genauso geht „hinter denen jetzt so viele Stiftungen und NGOs hinterher sind“. Macht abgeben und demokratisch große Vermögen rückverteilen, das ist ihre Agenda. Denn das Vermögen wäre ohne Menschen, die dafür arbeitsteilig gearbeitet haben, nie möglich gewesen. Und die sollen nun über die Verwendung dieses Vermögen mitentscheiden dürfen. Wenn sich der Rat übrigens nicht einigt, geht das Geld an Marlene Engelhorn zurück und ihr „Problem“ ist wieder da: Wie bekomme ich mein Erbe gerecht und machtlos verteilt?

Mehr von Marlene Engelhorn auch in ihrem Buch „Geld“ erschienen im K&S übermorgen Verlag, ISBN 978-3-218-01327-7

Bildquellen

  • Marlene Engelhorn: Ulrich Palzer/K&S
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