Deutschland first – extreme Kürzungen bei Internationaler Hilfe

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat sich auf den Haushalt 2024 geeinigt. Eingespart wird besonders in einem Bereich: der Internationalen Hilfe. Fast eineinhalb Milliarden Euro werden dort gekürzt. Das hat Konsequenzen für Non-Profit-Organisationen.

Der Haushaltsausschuss hat sich auf seiner Bereinigungssitzung für den Haushalt 2024 auf Kürzungen der Entwicklungszusammenarbeit in Milliardenhöhe geeinigt. Stephan Exo-Kreischer, Europadirektor der Lobby- und Kampagnenorganisation ONE, sagt: „Aus Fortschritt wird Rückschritt. Mit ihrer Radikalkur für den Etat 2024 hat die Bundesregierung die Tür für eine fatale Trendwende aufgestoßen. Es droht der Anfang vom Ende des Ziels, 0,7 Prozent in die Bekämpfung extremer Armut und vermeidbarer Krankheiten zu investieren. Leider muss man auch feststellen, dass die Abgeordneten in der Bereinigungssitzung kaum versucht haben, sich den geplanten Kürzungen entgegenzustellen. So verabschiedet sich die Ampelkoalition endgültig von dem Ziel, eine global ausgerichtete Fortschrittskoalition zu sein.”

2024: über 1,4 Milliarden Euro weniger

Nach den Vorschlägen der Bundesregierung soll die humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt (AA) im kommenden Jahr um 18 Prozent (minus 478 Millionen Euro) und der Etat des Entwicklungsministeriums (BMZ) um acht Prozent (minus 930 Millionen Euro) gekürzt werden. Die mittelfristige Finanzplanung sieht ab 2025 weitere Kürzungen in Milliardenhöhe vor. One rechnet mit Kürzungen von zwei Milliarden Euro. Das trifft den Bereich der internationalen Solidarität besonders hart. Kein anderes Ministerium muss anteilsmäßig mehr kürzen als das BMZ und das AA.

„Dass der Finanzminister diese Kürzungen rechtfertigt, indem er verkündet, Deutschland sei bei den internationalen Hilfen weltweit auf Platz 1, ist dreist und falsch“, erklärt Michael Herbst, Vorstandsvorsitzender des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) verärgert. „Gemessen an der Wirtschaftsleistung steht Deutschland im OECD-Vergleich zwar immerhin auf Platz 4, doch fällt bei näherer Betrachtung auf, dass Deutschland sich diese Quote schönrechnet. Ein immer größerer Teil der Ausgaben hat mit Entwicklungszusammenarbeit nichts mehr zu tun. Unterm Strich ist Deutschland selbst das mit Abstand größte Empfängerland seiner eigenen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit.“ So werden beispielsweise Ausgaben für Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Ländern oder internationalen Studentenaustausch hier schlicht von Deutschland mit eingerechnet und an die OECD gemeldet.

Konsequenzen für NGO

Das größte Problem ist jetzt die fehlende Planungssicherheit. Jan Wenzel, Leiter des Bereichs Stärkung der Zivilgesellschaft bei VENRO, erklärt das so: „Der Start in das Jahr mit diesem Haushalt ist ein ungewisser. Es ist absehbar, dass sich die Kürzungen auf die Bewilligung von langfristig geplanten Vorhaben deutscher Nichtregierungsorganisationen und ihrer Partner auswirken werden. Dabei sind gerade Planungssicherheit und eine stabile Finanzierung essenziel, damit sie ihre Arbeit so effektiv wie möglich gestalten können. Die geplanten drastischen Einschnitte über 2024 hinaus werden diese Planungsunsicherheit weiter verschärfen. Den Ministerien fehlen Verpflichtungsermächtigungen, um langfristige Vorhaben zusagen zu können.“

Die Kürzungen stehen auch im starken Kontrast zu den steigenden Bedarfen weltweit. Laut den Vereinten Nationen werden 2024 weltweit fast 300 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen – knapp die Hälfte davon in Afrika. „Wir dürfen nicht vergessen, dass Hunger fast immer menschengemacht ist. Konflikte, ökonomische Schocks, Wetterextreme, Armut und Ungleichheit sind wesentliche Treiber. Um Leben zu retten, braucht es neben mehr Aufmerksamkeit eine ausreichende Finanzierung für humanitäre Hilfe. Im vergangenen Jahr wurden nur 35 Prozent der benötigten finanziellen Mittel für die Deckung der vorhandenen humanitären Bedarfe bereitgestellt, das ist definitiv zu wenig“, erläutert Karl-Otto Zentel, Generalsekretär für CARE Deutschland.

Spenden für Internationale Hilfe

Dass solche Lücken mit Spenden aufgefangen werden können, ist eher unrealistisch. Im letzten Jahr belief sich das deutsche Spendenaufkommen für den Bereich der sonstigen humanitären Hilfe (Entwicklungshilfe, Bildung, Sonstige Hilfe) von Januar bis September laut „Bilanz des Helfens“ des Deutschen Spendenrates auf 430 Millionen Euro und erhöhte sich damit zum Jahr 2022 um 35 Millionen Euro. So können keine Milliarden kompensiert werden. Trotzdem zeigt sich Thomas Beckmann bei Brot für die Welt zweckoptimistisch: „Wir müssen davon ausgehen, dass wir durch die Haushaltskürzungen mittelfristig weniger Projekte umsetzen oder mit unseren Projekten weniger Menschen erreichen können. Wir hoffen, dass die Spendenbereitschaft weiterhin so hoch bleibt wie in den vergangenen Jahren und wir dadurch mögliche Finanzierungslücken für unseren Einsatz gegen Hunger und Ungerechtigkeit schließen können.“

Bauernverband fordert Kürzungen zugunsten deutscher Bauern

Und dann fordert der Verbandspräsident des Sächsischen Bauernverbandes Torsten Krawczyk die Entwicklungshilfe noch deutlicher zugunsten inländischer Hilfen und Subventionen zu kürzen. Jan Wenzel von VENRO meint dazu: „Wer meint, unsere wirtschaftlichen Herausforderungen ließen sich allein auf nationaler Ebene lösen, der oder die irrt gewaltig. Besonders die Politik sollte diese Zusammenhänge sehen und verstehen und die gemeinsamen Interessen stärken, statt diese gegeneinander auszuspielen.“ Sein Argument ist, dass in einer globalisierten Welt Landwirtinnen und Landwirte, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, die Auswirkungen der multiplen Krisen zu spüren bekommen. Trockene Böden und Überschwemmungen infolge des Klimawandels, steigende Energiepreise und nicht zuletzt ein unerbittlicher Preiskampf, der sich durch die weltweite Ausbeutung der natürlichen Ressourcen verschärft. Nationale Abschottung wäre da keine Lösung.

Bildquellen

  • Haushaltsloch: freepik

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