„Der Staat wird sich nur noch auf Pflichtaufgaben beschränken“

Der Deutsche Spendenrat feiert sein 30-jähriges Jubiläum. Über das Spenden in Zeiten von Inflation und Krisen, Digitalisierung im Spendenwesen und die Zukunft bürgerschaftlichen Engagements sprachen wir mit Martin Wulff, Geschäftsführer des Deutschen Spendenrates.

Herr Wulff, können Sie sich an Ihre erste eigene Spende erinnern?

Ja, meine erste Spende in jungen Jahren war für „Brot für die Welt“. Bis heute habe ich beruflich mit dem Thema Spenden zu tun, denn ich war für eine spendensammelnde Organisation tätig.

Was bewegt aus Ihrer Sicht Menschen in Zeiten von Inflation und Dauer-Krisen überhaupt dazu zu spenden?

Die Menschen wollen Gutes tun, und sie wollen sich dabei nicht selbst in den Vordergrund stellen. Im Hintergrund zu bleiben, das funktioniert beim Geldspenden im Vergleich etwa zum ehrenamtlichen Engagement, wo man vor Ort präsent ist, auch ganz gut. Viele Menschen bewegt es, wenn sie von akuten Krisen erfahren, da wollen sie gern helfen und unterstützen.

Wie hat sich die Spendenfreudigkeit in den vergangenen Jahren entwickelt?

Das Spendenaufkommen ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Wir sehen immer wieder, dass während großer Krisen mehr gespendet wird. Das ist auch nicht verwunderlich, denn meist gibt es Sondersendungen im Fernsehen, Spendengalas und viele weitere Informationen. In jüngerer Vergangenheit sehen wir jedoch, dass es weniger Menschen werden, die spenden. Die größte Spendenbereitschaft erleben wir bei der Generation 70plus.

Wie verlief das Spendenjahr 2023 bisher?

Die Spendeneinnahmen für den Zeitraum Januar bis August 2023 lagen bei insgesamt: 2,821 Milliarden Euro, das sind zwar 18 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum Januar bis August 2022, aber nur 3 Prozent weniger als im Kalenderjahr 2019. Hoffnung für den Gesamtverlauf des Spendenjahres 2023 macht die isolierte Betrachtung des Monats August 2023, in dem 10 Prozent mehr gespendet wurden als im August 2022. Dieser Vergleich ist insofern aussagekräftig, da in beiden Monaten, August 2022 und August 2023, keine „Sondereffekte“ aus Kriegen oder Naturkatastrophen zu berücksichtigen waren.

Wie unterstützt der Deutsche Spendenrat die Spenderinnen und Spender dabei, die passenden Spendenorganisationen zu finden?

Das machen wir vor allem über unser Spendenzertifikat. Im Deutschen Spendenrat sind spendensammelnde Organisationen versammelt, die harten Prüfkriterien unterliegen: Dazu gehören Gemeinnützigkeit und absolute Transparenz darüber, wie die eingegangenen Spenden verwendet werden. Außerdem einen uns ethische Grundsätze. Wir achten darauf, dass bei der Werbung unserer Mitglieder die Menschenwürde der Opfer und Betroffenen gewahrt bleibt. Wir verstehen uns also als Spendenkompass: Die Spenderinnen und Spender können bei uns schauen, welche Organisation als vertrauenswürdig eingeschätzt wird.

Der Deutsche Spendenrat stellt nicht nur Zertifikate aus, er ist auch Lobbyverband. Was bedeutet es heute, Lobby für Spendenorganisationen und Millionen von Spenderinnen und Spendern zu sein?

Ein Lobbyverband zu sein heißt, dass wir die Interessen unserer Mitgliedsorganisationen vertreten, aber auch insgesamt immer mehr die Bedeutung des Spendens zum Ausdruck bringen. Wir gehen davon aus, dass sich staatliche Hilfen zunehmend auf Pflichtaufgaben beschränken und dass freiwillige oder andere Aufgaben durch private Personen und Initiativen übernommen werden. Deshalb wird das bürgerschaftliche Engagement noch an Bedeutung gewinnen. Es ist immer wieder notwendig, darauf aufmerksam zu machen.

Wie sehen Sie die Herausforderung der Digitalisierung im Fundraising?

Wir können Mut machen, den digitalen Wandel umzusetzen. Aber unsere Organisationen sind da sehr innovativ tätig. Aus Sicht der Spender müssen wir ein Augenmerk darauf richten, dass die sehr spendenbereite Gruppe der über 70-Jährigen bedient und nicht überfordert wird. Aber natürlich ist auch diese Generation mit dem digitalen Wandel älter geworden und im digitalen Raum unterwegs. Deswegen sagen wir: Digitales Spendensammeln darf keine Hürde, sondern muss eine Erleichterung sein.

Es gibt immer wieder neue Themenfelder. Gerade versucht der Journalismus als gemeinnützig anerkannt zu werden. Wie gelingt es Ihnen, neue Formen und Inhalte des Spendens an Ihren Dachverband zu binden?

Das gelingt dadurch, dass diese Organisationen und Initiativen ein eigenes Interesse daran haben, Mitglied zu werden, um nach gründlicher Prüfung unsere Spendenzertifikate zu erhalten. Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens geben wir auch Hilfestellung dazu, was es braucht, um überhaupt Mitglied bei uns zu werden. Die formalen Voraussetzungen sind nicht gering, weil wir externe Wirtschaftsprüfer haben, die sehr genau auf die Zahlen schauen. Ich glaube, dass solche Dach- und Lobbyverbände im Spendenwesen immer bedeutsamer werden, weil die Menschen sich darauf verlassen möchten, dass ihre Spende auch ankommt.

Die Advents- und Weihnachtszeit steht vor der Tür. Wie kann ich mich engagieren, wenn ich besonders in dieser Zeit Gutes für andere tun will?

Eine Spende ist natürlich die einfachste Form. Dafür können Sie die Mitgliederliste des Deutschen Spendenrates heranziehen und sich für eine Organisation entscheiden. Wenn Sie ehrenamtlich tätig sein möchten, bietet sich gerade in der Advents- und Weihnachtszeit Vieles an: Jedes Seniorenheim freut sich über Menschen, die für einen Nachmittag Weihnachtsgeschichten vorlesen, oder wenn ein Kinderchor vorbeikommt und Weihnachtslieder singt. Das kenne ich auch aus meiner eigenen Kindheit: Mit dem Kirchenchor waren wir viel in den Altersheimen und in Krankenhäusern unterwegs. Das hat mir als Kind viel Spaß gemacht, und ich hatte das Gefühl, meine Zeit sinnvoll verbracht zu haben.

Bildquellen

  • Martin Wulff: PR Deutscher Spendenrat
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