Bürger spenden ihre Steuer
Dr. Stefan Nährlich ist Geschäftsführer und Mitglied des Vorstandes der Stiftung Aktive Bürgerschaft, die sich für mehr Bürgerengagement einsetzt und besonders die Bürgerstiftungsidee fördert. In einem 9-Punkte-Papier fordert die Stiftung eine bessere Engagement-Politik der neuen Bundesregierung. Darunter findet sich auch der Vorschlag, dass Bürger ein Prozent ihrer Einkommenssteuer selbst spenden können.
NGO-Dialog: Sie fordern einen Neustart der Engagement-Politik in Deutschland. Was muss die neue Bunderegierung besser machen?
Dr. Stefan Nährlich: Das wichtigste Anliegen ist, die Zusammenarbeit der Politik mit der Zivilgesellschaft zu verbessern und die Rolle der Zivilgesellschaft dabei zu stärken. Deshalb fordern wir einen Vollausschuss zum zivilgesellschaftlichen Engagement im Bundestag und nicht nur einen Unterausschuss.
Was macht ein Vollausschuss anders?
Ein Unterausschuss ist einfach relativ machtlos. Seine Mitglieder können sich zwar beispielsweise aus der Arbeit der Ministerien berichten lassen, aber ein Ministerium auffordern, etwas zu tun oder zu lassen, kann er nicht. Er kann in der parlamentarischen Arbeit auch keine Themen an sich ziehen und mitbestimmen. Wir erhoffen uns daher mehr eigene Initiative durch einen Vollausschuss, der übrigens auch vom Bündnis für Gemeinnützigkeit und dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement gefordert wird. Auch viele Fachpolitiker sind unzufrieden, wie Engagement-Politik betrieben wird.
Woran ist das fest zu machen?
Das Familienministerium hat ja versucht, das Thema zu koordinieren. Aus meiner Sicht ist das gescheitert. Die sogenannte Engagement-Strategie vor einigen Jahren war nur eine Auflistung von „Projektchen“. Jedes Ministerium macht, was es will. Zudem ist Engagement-Politik eine Querschnittsaufgabe und gehört nicht nur zum Thema Frauen, Jugend und Senioren. Wenn das Finanzministerium beispielsweise nicht mitspielt, dann passiert gar nichts. Das muss anders werden. Ein gutes Modell gibt es in Baden-Württemberg. Mit Gisela Erler wurde das Amt einer Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung mit Stimmrecht in der Landesregierung geschaffen. Auf Bundesebene gibt es die Beauftragte für Kultur und Medien. Auch ein guter Ansatz. Aus meiner Sicht gehört die Engagement-Politik ins Kanzleramt! Ein dickes Brett, das gebohrt werden muss, aber deswegen ist die Forderung nicht falsch.
Im Gegensatz zum Bündnis für Gemeinnützigkeit fordern Sie eine Reform der Abgabenordnung um das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren. Warum tun sich die Wohlfahrtsorganisationen Ihrer Meinung nach damit so schwer?
Das Bündnis für Gemeinnützigkeit unterscheidet sich hier natürlich von unserer Arbeitsweise. Das ist eine Lobbyorganisation verschiedener Verbände, im besten Sinne, die natürlich gerne sehen wollen, dass nach einer solchen Reform einzelne Verbände nicht plötzlich schlechter gestellt sind als vorher. Das ist ja bei allen Reformen so, macht gemeinsame Positionen schwieriger und bremst den Reformeifer. Die Abgabenordnung ist aber das zentrale steuerrechtliche Instrument für gemeinnützige Organisationen und nicht mehr zeitgemäß. Für uns geht es um den Aufwand für die vielen kleinen und mittleren Initiativen. Beispiel Umsatzsteuer – furchtbar kompliziert! Das muss vereinfacht werden.
Und die Frage des politischen Engagements der Zivilgesellschaft, die im Zusammenhang mit der Abgabenordnung diskutiert wird?
Ich glaube, das betrifft nicht so viele Vereine und Stiftungen, ist aber trotzdem ein Riesenthema, weil es hier um die Frage geht: Wer bestimmt eigentlich, was gemeinnützig ist und was man machen darf? Und das finde ich zentral. Da bin ich auch bei den Forderungen der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung”. Man kann nicht sagen, alle gestalten die Politik irgendwie mit, nur die Zivilgesellschaft darf das nicht, weil eine verdeckte Parteienfinanzierung möglich sein könnte. Da sind bereits Wege aufgezeigt, wie das sauber gehen kann. Das kann man meiner Meinung nach umsetzen.
Die Bunderegierung sollte also nicht entscheiden, was gemeinnützig ist oder nicht?
Richtig. Immer neue Zwecke kommen zur Abgabenordnung hinzu. Zuletzt die Verschönerung des Friedhofswesens. Das ist bestimmt total wichtig, aber warum braucht man überhaupt Zwecke? Reichen nicht die zum Teil schon bestehenden Regeln, das gemeinnützige Organisationen ihre Überschüsse nicht an Eigentümer ausschütten dürfen, dass sie sich an Gesetze und die freiheitliche demokratische Grundordnung zu halten haben und sich – bald – einer gesetzlichen Transparenz-Pflicht unterziehen müssen? Wer dann gegen Gesetze verstößt, dem kann man dann immer noch die Gemeinnützigkeit entziehen. Aber zu sagen, wir bestimmen aus unserer staatlichen Sicht der Dinge, was gemeinnützig ist und dann erlauben wir wieder ein paar Zwecke, das finde ich sehr überholt. Mir reicht es einfach nicht, wenn Politiker Sonntags das Engagement loben, aber Werktags den Daumen draufhalten, was möglich und genehm ist.
Sie fordern ebenfalls, dass die neu geschaffene Deutsche Stiftung Engagement & Ehrenamt nur fördern soll. Macht die aus Ihrer Sicht keine gute Arbeit?
Für mich stellt sich die Frage vorher. Ich störe mich überhaupt nicht an der konkreten Arbeit der Kolleginnen und Kollegen dort. Aber das, was dort gemacht wird, das gibt es ja alles schon. Das ist nichts Neues. Bei der Gründung habe ich mich schon gefragt, warum will man nicht mit den bestehenden zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten? Die bringen langjährige Expertise und Erfahrung mit, verfügen über eine Nähe zu ihren Mitgliedern und Zielgruppen vor Ort. So war das Stiftungskonzept ursprünglich ja auch angelegt. Herausgekommen ist dann plötzlich und überraschend eine operative Stiftung, die nicht andere fördern, sondern selber machen soll. Das empfinde ich als Misstrauenserklärung an die Zivilgesellschaft. Das die Deutsche Stiftung Engagement & Ehrenamt immerhin auch fördern kann, ist Politikern und Sachverständigen zu verdanken, die sich im Familienausschuss des Bundestages dafür eingesetzt haben. Machen wir uns nichts vor, auch in der Welt des Gemeinnützigen und der Ehrenamtlichen geht es nicht ohne Geld. Das ist es, was vielen Vereinen und Stiftungen fehlt.
Dazu passt Ihr Vorschlag, dass Bürger ein bis zwei Prozent ihrer Einkommensteuer direkt an Vereine und Stiftungen und nicht an den Staat geben können.
Diese Ein-Prozent-Philanthropie gibt es in einigen Ländern Osteuropas wie Ungarn, Polen oder Litauen. Entstanden ist das nach dem Ende des Kommunismus aus einem Misstrauen gegenüber dem neuen Staat, in dem vielleicht alte Kader oder neue neoliberale Politiker an die Macht kommen und die der Zivilgesellschaft dann die Gelder kürzen oder streichen. Deshalb führte man ein System ein, den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, mitzuentscheiden, wen sie mit ihren Steuern unterstützen. Ich finde das einen guten Weg von echter Bürgerbeteiligung.
Was unterscheidet das aber vom normalen Spenden?
Spenden ist ja etwas, was man zusätzlich leistet. Das Einkommen wird erarbeitet, es wird versteuert, und dann ist der Gemeinwohlbeitrag in der Regel ja zu Ende. Danach kommt die freiwillige Spende als weiterer Beitrag für das Gemeinwohl. Seit 15 Jahren sinkt die Anzahl der Spenderinnen und Spender, auch wenn die Spendensumme relativ stabil bleibt, weil diese Menschen mehr spenden. Auf der anderen Seite ist das Spenden ja nicht nur das Geben von Geld, sondern darüber auch das Mitgestalten der Gesellschaft im Kleinen. Ich fände das schon gut, wenn mehr Menschen die Gesellschaft mitgestalten könnten. Und diese Ein-Prozent-Philanthropie gibt ihnen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wohin Geld fließt, das sie nicht zusätzlich aufbringen müssen. Wenn ich diese Wahl hätte, würde ich mich zuerst vor Ort umschauen, welcher Verein oder welche Bürgerstiftung sich dort für meinen Kiez oder meinen Ort engagiert und dann deren Steuernummer als Begünstigte in meine Steuererklärung eintragen.
Auch die Digitalisierung der Zivilgesellschaft ist eine Ihrer Forderungen. Doch warum wird nicht eine Ausweitung der digitalen Mittelstandsförderung für Firmen auf die Zivilgesellschaft gefordert, statt nur Gigabit- und Weiterbildungsgutscheine?
Das ist schon damit gemeint. Mir geht es darum, dass es nicht nur heißt, das Thema Digitalisierung und IT-Förderung gelte nur für die Wirtschaft, und die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollen mal mit ein paar Open-Source-Lösungen klarkommen. Das hängt den Dritten Sektor ab. Gebt den gemeinnützigen Organisationen zweckgebunden Geld in die Hand für Digitalisierung und IT, damit die entscheiden können, wie sie das einsetzen!
Transparenz im Dritten Sektor ist seit der Ankündigung eines Zuwendungsempfängerregisters durch die Bundesregierung wieder ein Thema. Wie müsste das Ihrer Meinung nach aussehen?
Es gibt ja einige Register, die gerade Transparenz schaffen sollen. Stiftungsregister, Geldwäschetransparenzregister und so weiter. Das kommende Stiftungsregister ist insofern gut, weil die Vertretungsbefugnis der Stiftungen so einfacher nachzuweisen ist, ohne ständig eine maximal sechs Monate alte Bescheinigung vorweisen zu müssen, dass man für die Stiftung Rechtsgeschäfte abschließen darf. Das Zuwendungsempfängerregister soll mehr leisten. Zum Beispiel Auskunft geben, ob die Organisation gemeinnützig ist. Das fordern wir auch schon lange. Aber ebenso wichtig wäre, dass dort auch drinsteht: Woher bekommt die Organisation ihr Geld, wer entscheidet über die Mittelverwendung und wohin fließt das Geld? Das ist jedoch nicht vorgesehen. Und da frage ich mich schon: Warum nicht? Es gibt doch nichts zu verbergen! In vielen Jahresberichten steht das, wir melden das an Stiftungsbehörden, warum also nicht an einer Stelle zusammenführen und den Zugang zu solchen Informationen erleichtern. Das würde sehr viel Transparenz schaffen.
Auch für die wissenschaftliche Erforschung dieses Sektors, wäre das enorm hilfreich. Wir wissen ja noch nicht mal wie viele Stiftungen und Vereine es wirklich in Deutschland gibt.
Nun, das könnte das Zuwendungsregister durchaus leisten. Da gehören ja dann auch die nicht-rechtsfähigen Stiftungen mit hinein, die bisher nirgends erfasst sind. Diese Erfassung der Grundgesamtheit gemeinnütziger Organisationen und die regelmäßige wissenschaftliche und anonymisierte Untersuchung können Trends und Veränderungen im gemeinnützigen Sektor sichtbar machen. Wie wirken sich z.B. steuerliche Förderungen aus, welchen Einfluss haben gesellschaftliche Ereignisse wie Corona usw. Dazu könnte man valide Erkenntnisse gewinnen. Wir machen seit 2006 eine Vollerhebung unter den Bürgerstiftungen in Deutschland zu den zentralen Indikatoren ihrer finanziellen Entwicklung. Das gibt uns ein sehr viel verlässlicheres Bild der Lage, als wenn wir uns nur auf Erkenntnisse aus Gesprächen oder auf einzelne Bespiele stützen müssten.
Können Sie das konkretisieren?
Wir stellen zum Beispiel fest, dass die meisten Zuwendungen an Bürgerstiftungen gehen, die zweckgebundene Formen der Zustiftung anbieten. Und zwar sowohl bei den Zustiftungen als auch bei den Spendeneinnahmen. Deshalb ist unsere Botschaft: Wenn ihr als Bürgerstiftung nur sagt, ihr seid eine Stiftung und nicht, dass die Stiftung alle einlädt, sich zu beteiligen und mitzumachen, dann kommen die Leute auch nur auf die Idee nach Geld zu fragen, anstatt Hilfe und Geld anzubieten. Deshalb stellen wir den Begriff der Mitmachstiftung in den Fokus. Inzwischen greifen das immer mehr Bürgerstiftungen auf, obwohl ich gedacht habe, die Daten sprechen eine so klare Sprache, dass es schneller mit der Umsetzung geht.
Wie sehen Sie die Lage der Stiftungen in Zusammenhang mit den steigenden Inflationsraten und den niedrigen Zinsen?
Als es mit der Finanzkrise losging, hatten wir die Befürchtung, dass es bald keine Zustiftungen mehr geben könnte. Das hat sich nicht bewahrheitet. Die Stifterinnen und Stifter wollen etwas auf Dauer hinterlassen. Die aktuelle Zinslage ist dabei nicht entscheidend. Die Stiftung hat aber natürlich dann das Problem, eine Rendite daraus zu erwirtschaften. Auch wenn es nicht mehr so hohe Renditen gibt wie früher, stimmt es auch nicht, dass es keine Zinsen mehr gibt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Renditen von zwei bis zweieinhalb Prozent nach Gebühren für die Vermögensverwaltung nicht unüblich sind. In Baden-Württemberg schreibt die Stiftungsaufsicht Stiftungen an, um sie darauf hinzuweisen, dass im Stiftungsgesetz steht, das Vermögen sei „ertragreich und sicher anzulegen“. Es geht nicht nur um eine sichere Anlage, sie fordern auch auf, ertragreicher anzulegen und Stiftungsvermögen nicht auf dem Girokonto liegen zu lassen.
Während viele klassische Stiftungen als „notleidend“ gelten, weil sie aus eigener Kraft ihre Stiftungszwecke nicht mehr verfolgen können, stehen die Bürgerstiftungen insgesamt gut dar. An Bürgerstiftungen wird jedes Jahr mehr gespendet, und noch mehr gestiftet als gespendet. Aber es profitieren nicht alle Bürgerstiftungen gleichermaßen von diesem Trend. Für so mache Bürgerstiftung ist es noch eine neue Erkenntnis, dass das Einwerben von Zustiftungen und Spenden auch Positionierung bedeutet, entsprechende Angebotsentwicklung und Bereitschaft zur Beteiligung von Spender und Stiftern. Da kann man schon noch besser werden und Politik und Kommunen könnten das mit entsprechenden Anreizen wie Matching Funds oder höherer steuerlicher Absetzbarkeit von Zuwendungen unterstützen.
Mehr Informationen hier: www.aktive-buergerschaft.de/buergergesellschaft/neustart-der-engagementpolitik
Bildquellen
- Dr. Stefan Nählich: Julia Grossi, Stiftung Aktive Bürgerschaft
Spannender Ansatz.