„Wir haben nichts zu verstecken.“

Dr. Sebastian Brandis leitet seit 2017 als Vorstandssprecher die Stiftung Menschen für Menschen. Matthias Daberstiel sprach mit ihm über Herausforderungen von NGOs und über Vertrauen und Offenheit gegenüber den Spenderinnen und Spendern.

NGO-Dialog: Sie kommen aus der Wirtschaft und sind zu einer NGO gewechselt. Was sind aus Managementsicht die größten Unterschiede?

Dr. Sebastian Brandis: Ich versuche ja eher, Gemeinsamkeiten zu finden. Letztlich sind es beides Strukturen mit vielen Menschen, die Einnahmen und Ausgaben haben und organisiert werden müssen, also recht ähnlich. Der wesentliche Unterschied ist, die eine Rendite geht in die eigene Tasche und die andere ins Gemeinwohl. Das prägt vor allem die Menschen. Was hier auffällt ist, dass hier in der NGO Menschen arbeiten, die eine andere Motivation mitbringen. Da ist Beruf viel näher an der Berufung, und das führt dazu, dass viele Dinge mit mehr Herzblut gemacht werden. Da sehe ich viel Begeisterung aber auch Selbstaufopferung. In einem solchen Team zu arbeiten, ist für das Management eine ganz andere Aufgabe, als wenn Sie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Firmen zu tun haben, für die das nur ein Job ist.

Vertrauen ist für eine Spendenorganisation sehr wichtig. Wie arbeitet „Menschen für Menschen“ daran?

Vertrauen müssen wir in verschiedenen Dimensionen bedenken. Denn es geht nicht nur um Spenderinnen und Spender, es geht auch um die Menschen, mit denen wir in Äthiopien zusammenarbeiten, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie alle brauchen Vertrauen, das sich nach dem kulturellen Background entwickelt.

Offenheit ist wichtig. Wir haben nichts zu verstecken. Wenn jemand eine Frage hat, wird sie beantwortet. Menschlichkeit finde ich wichtig. Da geht es mir um menschliche Nähe. Ich unterschreibe zum Beispiel viele Briefe persönlich. Auch Beschwerden klären wir persönlich am Telefon. Das muss bei uns so sein, steht ja schon im Namen: „Menschen für Menschen“, und da kann sich niemand ausnehmen. Das kostet viel Zeit, weil wir das selber machen, aber der direkte Zugang zu uns ist wichtig für das Vertrauen.

Wie viel Einfluss dürfen Geldgeber auf eine NGO haben?

Das Grundprinzip ist: Der Geber entscheidet nicht, was wir machen. Wir überlegen aber natürlich auch, was für die Geber attraktiv ist. Wir haben beispielsweise in 40 Jahren schon 250 Millionen Bäume gepflanzt. Mittlerweile ist das Thema Klimaschutz aber viel stärker in den Vordergrund gerückt. Das heißt, wir kommunizieren das jetzt anders. Bäume bedeuten eben nicht nur Wasserspeicher und Schutz vor Versteppung sondern auch Biodiversität. Und auf Letzteres legen wir eben jetzt in der Kommunikation mehr den Fokus. Oder jemand finanziert das, weil er CO2-Bindung machen will. Wir pflanzen in diesem Jahr beispielsweise für die Suchmaschine Ecosia über eine Million Bäume. Im Kern muss das Projekt für die Menschen vor Ort sinnvoll sein. Sonst macht es keinen Sinn. Die Kommunikation dazu darf sich aber verändern.

Was halten Sie in dem Zusammenhang von dem Begriff des Friendraising?

Finde ich grundsätzlich kompliziert. Wir gehen mit den Geberinnen und Gebern ein professionelles Verhältnis ein, und das ist immer schwierig, wenn es zu emotional wird. Sie laufen immer Gefahr, Dinge zu tun, die Sie aus Freundschaft machen und nicht, weil es nötig ist. Der Interessenskonflikt ist da vorprogrammiert. Eine Freundschaft kann sich natürlich aus dem Spenderverhältnis entwickeln. Das ist ja legitim. Ich persönlich gehe mein privates Netzwerk beispielsweise mit einer Spendenbitte nicht an. Ich sage, was wir machen und wenn sie spenden wollen, ist das ok. Aber ich würde mich schlecht fühlen, wenn ich da meine Freundschaft ausspielte.

Wie lief Ihr Spendenjahr 2020 und was erwarten Sie für 2021?

2020 lief überraschend gut. Einiges hat sich auch verschoben. Gerade von den Partnern aus dem Reise-, Gastronomie- und Veranstaltungsbereich, da konnten wir nichts erwarten. Aber wir haben dafür andere tolle Zuwendungen bekommen. Von Menschen, die meinten: „Ich habe gut verdient und konnte gar nichts ausgeben. Es war ja alles geschlossen. Dann gebe ich das für einen gemeinnützigen Zweck.“ Netto haben wir ein Wachstum. Es ist uns auch gelungen, Partnerschaften mit Unternehmen einzugehen oder zu verlängern, die ein sehr nachhaltiges Interesse an unserer Arbeit haben. Das sorgt auch für die gewünschte Verlagerung zu mehr Einnahmen aus Partnerschaften zusätzlich zu den reinen Spendeneinnahmen.

Und in der Zukunft?

Die Problemjahre kommen erst noch. Dieses Jahr wird das noch mit öffentlichen Mitteln abgefedert. So konnte das BMZ sein Budget um drei Milliarden Euro erhöhen, was uns auch zugutekommt. Aber in zwei, drei Jahren, müssen Schulden abgebaut werden, da wird gekürzt werden. Ende 2022/23 rechne ich mit Einbußen. Ich kann auch Unternehmen verstehen, die 40 Prozent Kurzarbeit haben und die mir sagen: „Da kann ich jetzt nicht spenden, das käme schon sehr schräg an.“

Welche Zielgruppen stehen zukünftig bei „Menschen für Menschen“ im Vordergrund?

Natürlich müssen wir uns verjüngen. Aber auch ältere Menschen wird es immer geben. Man muss sie vielleicht anders abholen, also nicht nur über unseren Gründer Karlheinz Böhm. Aber deswegen bin ich vielleicht weniger pessimistisch als andere. Aber wir als Menschen für Menschen müssen gar nicht immer so im Vordergrund stehen. Mit unserer Power vor Ort können wir auch als Implementierungspartner arbeiten. Ecosia und Viva con Agua sind gute Beispiele dafür. Die sammeln Geld, setzen aber vor Ort keine Projekte um. Das machen dann wir. Ich sehe da einige gute neue Möglichkeiten. Da müssen wir als Marke nicht unbedingt so prominent erscheinen. Ich sehe auch neue Bedarfsmodelle entstehen. Also Modelle, wo der Bedarf der Menschen am Ende gedeckt wird, aber auch alle Partner etwas davon haben. Ich wünsche mir Unternehmen, die ein ernsthaftes nachhaltiges Interesse an unserer Arbeit haben.

Einen weiteren Teil dieses Interviews zum Thema Korruption in der Entwicklungszusammenarbeit, Transparenz und Compliance lesen sie im aktuellen Fundraiser-Magazin 2-2021.

Bildquellen

  • Dr. Sebastian Brandis vor einer neu gebauten Schule in Dano-NGO: privat
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