Das 1.200-Euro-Experiment

Was bisher Theorie war, soll nun in Deutschland real untersucht werden: Das bedingungslose Grundeinkommen. Eine wissenschaftliche Studie mit 1.500 Teilnehmern soll klären, ob diese Form des Solidarprinzips funktionieren kann. Finanziert wird die Studie aus Spenden.

Schon lange wird das bedingungslose Grundeinkommen als Alternative zu den bekannten Solidarsystemen in der Marktwirtschaft diskutiert. Es gab auch bereits einige Testläufe in verschiedenen Ländern. Nun startet in Deutschland die erste wissenschaftliche Studie zum Thema. Initiator der Idee und auch Geldgeber ist der Verein „Mein Grund­einkommen e.V.“, der 141.341 Privatpersonen davon überzeugt hat, regelmäßig andere Menschen mit einem Grundeinkommen auszustatten. Über 618.720 Euro werden im Monat an den Verein gespendet. Rund 23 Prozent dieser Spenden fließen ab Studienstart in die vollständige Finanzierung der Studie. Die Finanzierung durch private Spenden soll die politische Unabhängigkeit der Studie sichern.

Nach Auskunft der Pressesprecherin des Vereins, Miriam Witz, kommen die Unterstützerinnen und Unterstützer aus allen Schichten der Gesellschaft und zahlen zwischen 4 und 5 Euro pro Monat. Dabei ist der Verein selbst gar nicht so aktiv im Fundraising, macht also zum Beispiel gerade auch keine Spendenwerbung. Das diese Studie und das Medienecho der letzten Tage auf die Spendenbereitschaft einen positiven Effekt haben könnte, hatte die Organisation auch gar nicht primär auf dem Schirm. „Das wäre natürlich schön, stand für uns aber bei der Planung nie zur Debatte“, so die Pressesprecherin.


120 Deutsche erhalten Grundeinkommen

Die Langzeitstudie unter wissenschaftlicher Führung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) soll empirische Fakten zusammentragen und die Debatte versachlichen. Geplant ist, 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern über drei Jahre jeweils 1.200 Euro monatlich auszuzahlen – bedingungslos. Am 18. August startete hierfür die Bewerbungsphase. Die interessierten Personen müssen Deutsche und über 18 Jahre alt sein. Eine Bedürftigkeit musste nicht belegt werden. Sie können sogar unbegrenzt Geld hinzuverdienen. Der Betrag des gezahlten Grundeinkommens orientiert sich an der Armutsgefährdungsgrenze. Insgesamt werden 1.500 Menschen an der Studie teilnehmen, um auch eine Vergleichsgruppe zu haben. Die Studie ist bereits gestartet, denn innerhalb von drei Tagen hatten sich bereits über eine Million Deutsche online für das Experiment registriert. Auch Spenderinnen und Spender des Vereins dürfen teilnehmen, denn die Auswahl trifft nur das Forschungsteam und nicht der Verein.

„Wir wollen herausfinden, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen Menschen und Gesellschaft verändert. Wir wollen wissen, was es mit Verhalten und Einstellungen macht und ob das Grundeinkommen helfen kann, mit den gegenwärtigen Herausforderungen unserer Gesellschaft umzugehen“, sagt Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins Mein Grundeinkommen e.V.


Erste Erfahrungen positiv

Seit der Gründung im Jahr 2014 sammelt der Verein per Crowdfunding Geld, um in einer monatlichen Verlosung bisher über 650 zufällig ausgewählten Personen ein Grundeinkommen für ein Jahr bedingungslos auszuzahlen. Bisher fand der Verein dabei heraus: Die GewinnerInnen lebten gesünder und sozialer, ihr wahrgenommener Stress sank. Doch diese einjährigen Versuche sind nur begrenzt aussagekräftig. Deshalb nun eine Langzeitstudie mit wissenschaftlicher Begleitung.


Belastbare Erkenntnisse zum bedingungslosen Grundeinkommen

Auch beim DIW ist man über die Möglichkeit, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) unter Realbedingungen zu testen begeistert. „Zwar gab es bereits weltweit wissenschaftliche Experimente zum BGE, aber ihre Erkenntnisse sind begrenzt. Sie sind entweder veraltet, nicht verallgemeinerbar oder untersuchen das Grundeinkommen nur für Erwerbslose. Vor diesem Hintergrund betreten wir in Deutschland mit dieser Studie wirklich wissenschaftliches Neuland“, sagte Prof. Dr. Jürgen Schupp, Senior Research Fellow des DIW Berlin. Da menschliche Entscheidungsprozesse hochkomplex sind und der Fokus auch auf Veränderungen von Entscheidungen und kognitiven Fähigkeiten der TeilnehmerInnen liegt, wird die Studie außerdem vom Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern sowie der Universität zu Köln durch psychologische und verhaltensökonomische Forschung unterstützt.


Weiter Studien könnten folgen

„Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist nur dann sinnvoll, wenn es individuell und kollektiv positive Wirkungen entfaltet, den Anreiz zu bezahlter Erwerbsarbeit nicht zu stark senkt und finanzierbar ist“, erklärte Michael Bohmeyer. Falls die erste Studie zeigt, dass das Grundeinkommen deutliche Effekte hat, sollen deshalb, im Rahmen des Pilotprojekts, zwei weitere Studien zum BGE durchgeführt werden. Die Folgestudien sollen dann feststellen, ob menschliche Verhaltensänderungen nur durch das Geld hervorgerufen werden, das den Menschen ausgezahlt wird, oder eher durch die Sicherheit, die ein Grundeinkommen bietet. Thema wird auch sein, wie ein Grundeinkommen für alle Menschen in Deutschland realistisch finanziert werden kann.

Bildquellen

  • Mehr Geld oder mehr Sicherheit? Bedingungsloses Grundeinkommen wird getestet.: pxhere.com

Ein Kommentar zu „Das 1.200-Euro-Experiment

  • 1. September 2020 um 18:14
    Permalink

    Ein toller Gedanke. Ein Grundeinkommen, das mir ermöglicht, verschiedene Ideen zu prüfen: werde ich als 57jährige meiner Rolle als Pflegerin meiner Mutter gerecht, wenn ich dadurch meine Arbeitszeit reduzieren kann ohne mich selbst in eine Altersarmut wegen reduzierter Rentenabsicherung zu stürzen? Oder: kann ich selbst gesünder leben, wenn ich Arbeitszeit reduziere und mehr mit dem Hund raus kann, bzw. wieder selbst mehr Lebensmittel verarbeiten bzw. produzieren kann? Oder: macht mich das Grundeinkommen weniger abhängig von den Launen des Arbeitgebers und kann ich dadurch ggf. mich in der Selbständigkeit oder zumindest Teilselbständigkeit ausprobieren? Oder alles zusammen?
    Die Idee ein Grundeinkommen zu erhalten, hat viele Gedankenspiele in mir ausgelöst, deren Realisierung sicherlich auch ohne Grundeinkommen möglich sind. Das Grundeinkommen würde mir aber mehr Sicherheit geben, dies mal für mich auszuprobieren.

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