„Eine Bundes-Spenden-App ist keine sinnvolle Lösung!“

Doris Kunstdorff hilft seit vielen Jahren gemeinnützigen Organisationen durch die Untiefen der Digitalisierung. Matthias Daberstiel sprach mit ihr über ihre Arbeit und das 2024 geplante Zuwendungsempfängerregister und die damit verbundenen Probleme.

Das Thema Datenbank ist im Fundraising ja eher ein ungeliebtes Thema. Warum haben Sie sich gerade darauf spezialisiert?

Doris Kunstdorff: Das hat sicher mit meinem beruflichen Werdegang zu tun. Ich habe Mathematik studiert und bin dann bei einer IT-Unternehmensberatung gelandet. Dort habe ich knapp zehn Jahre lang als Systemanalytikerin gearbeitet, Software entwickelt und ein ganzes Programmpaket betreut. Gleichzeitig habe ich mich in einem entwicklungspolitischen Kinderhilfswerk engagiert und da kam es bei mir zu einer Werteverschiebung. Damals dachte ich: „Jetzt mach ich mal ein paar Jahre was Sinnvolles in meinem Leben“. Als ich 2003 dann die Ausbildung Fundraising Management an der Fundraising Akademie gemacht habe und in der ersten Präsenzphase bei Hajo Hönig einen Workshop zum Thema Data Base Fundraising absolvierte, wurde mir klar: Software und Nonprofits gehören auch zusammen! Somit ist „Fundraising-Software für Non Profits“ seit circa 20 Jahren mein Thema.

Wie sehen Sie die Entwicklung? Sind Non-Profits beim Thema Software mittlerweile besser aufgestellt als vor 20 Jahren?

Das Bild ist genauso gemischt wie vor 20 Jahren, würde ich sagen. Mich treibt es nach wie vor um, dass viele Organisationen noch sehr rudimentär arbeiten, um es vorsichtig auszudrücken. Ich unterstütze gerade eine Organisation, die tatsächlich viele, viele Jahre tolle Arbeit macht, aber alles in Excel verwaltet. Patenschaften, Patenkinder, Spenden und und und. Und das ist keine Organisation, die nur ein paar Euro im Jahr reinholt, sondern wo es um große Summen geht. Die Vereinsmitglieder haben sich vor vielen Jahren die Arbeit aufgeteilt, sind heute zum großen Teil über 70 Jahre alt und kommen langsam aber sicher (auch gesundheitlich) an ihre Grenzen.
Die jungen Engagierten in diesem Verein wollen natürlich nicht mehr so weiterarbeiten wie bisher, sondern digitale Tools nutzen. Die Älteren scheuen jedoch den Aufwand eines Software-Auswahl- und Implementierungsprozesses. In einer solchen Situation stecken sicherlich viele Organisationen. Sie haben die digitale Transformation inklusive Generationenwechsel noch vor sich.

Und was stellen Sie sonst noch fest?

Es gibt darüber hinaus Organisationen, die eine Software haben, diese aber nicht optimal nutzen oder die Funktionalitäten gar nicht kennen – Stichwort mangelnde Schulung. Oft fehlt auch das übergreifende Verständnis für Fundraising-Systeme. Sie selbst haben es in einem Artikel mal so schön ausgedrückt: Die „Datenbank ist der Flaschenhals“ und an der Problematik hat sich noch nicht viel geändert. Darüber hinaus ist in etlichen Organisationen die digitale Infrastruktur über Jahre und Jahrzehnte gewachsen und müsste eigentlich komplett auf den Prüfstand gestellt werden. Mit anderen Worten: Viele Organisationen haben ihre Digital-Hausaufgaben noch nicht gemacht.

Und jetzt soll auch noch eine automatisierte Spendenmeldung an das Finanzamt von Seiten der Non-Profit-Organisationen erfolgen. Können Sie uns als Expertin kurz erklären, was es damit auf sich hat und was da geplant ist?

Ich glaube, hier herrscht gerade eine Begriffsverwirrung. Viele reden ja schon von der digitalen Zuwendungsbestätigung, wenn sie eine PDF verschicken. Das ist aus Sicht des Finanzministeriums definitiv nicht gemeint. Die Pläne des Finanzministeriums gehen weiter. Es soll im Grunde genommen gar keine Spendenbescheinigung mehr ausgestellt werden, egal ob auf Papier per Post oder als PDF per E-Mail. Es sollen Datensätze in einem noch festzulegenden Format verschickt werden. Die Vorstellungen im Finanzministerium sind derzeit in etwa folgendermaßen: ab 1. Januar 2024 wird ein Zuwendungsempfängerregister aufgebaut, in dem alle gemeinnützigen Organisationen Deutschlands erfasst werden. Aus diesem Register könnte ich mir als Spenderin eine Organisation aussuchen und mit Hilfe einer Spenden-App dorthin spenden. Die App leitet dann automatisch an mein Finanzamt die Information weiter, an wen und wie viel ich gespendet habe. Dieser Betrag soll später automatisch bei meiner Steuererklärung als Sonderausgaben geltend gemacht werden. Das ist im Moment der Stand. Aber dieses digitale Verfahren ist eben noch nicht ausdiskutiert.

Wie werden denn Non-Profit-Organisationen in diese Überlegungen mit einbezogen?

Nun, theoretisch gibt es einen Beteiligungsprozess. Ende Juni fand ein Workshop statt, bei dem der oben skizzierte Ansatz diskutiert wurde. Der Deutsche Fundraising Verband war als einziger Verband überhaupt eingeladen worden. Und nur weil wir die Informationen über diesen Termin weiter gestreut haben, sind dann auch das Haus des Stiftens und betterplace dazugestoßen. Beide betreiben ja Plattformen, auf denen viele NGOs vertreten sind. Die anderen aus dem NGO Bereich waren nach unserer Einschätzung mehr oder weniger zufällig dazugekommen. Beim Workshop hatte ich den Eindruck, dass man an unserer Expertise viel Interesse hatte. Aber leider ist seitdem kaum etwas passiert.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der DFRV tatsächlich als einziger Verband seit Jahren an dem Thema dran ist – genauer gesagt, seitdem das Zuwendungsempfänger­register erstmalig in einem Jahressteuergesetz auftauchte. Viele können sich sicherlich erinnern, dass der damals zuständige Abteilungsleiter mehrmals beim Fundraisingkongress Rede und Antwort stand. In dieser Zeit war vor allem Conny Blömer sehr engagiert dabei und hat den Verband ehrenamtlich unterstützt. Ich befasse mich jetzt seit circa einem halben Jahr sehr intensiv mit diesen Themen und bin sowohl ehrenamtlich als auch auf Honorarbasis für den Verband aktiv.

Für Unruhe sorgt jetzt, dass das Zuwendungsempfängerregister 2024 in Kraft tritt.

Ja, das Gesetz um den Aufbau des Zuwendungsempfängerregisters tritt am 1. Januar 2024 in Kraft, das ist richtig. Im ersten Schritt wird aber nur das Zuwendungsempfängerregister realisiert. Die Daten über die Organisationen sollen von den jeweiligen Finanzämtern automatisch an das Bundeszentralamt für Steuern (BZaSt) übermittelt werden, damit die Organisationen keine Arbeit haben. Hier jedoch sehen wir Handlungsbedarf. Denn wer weiß schon, ob die beim Finanzamt hinterlegten Organisationsdaten alle korrekt und aktuell sind? Außerdem sollen Kontoverbindungen der Organisation veröffentlicht werden. Organisationen müssen also damit rechnen, dass die bei ihrem Finanzamt hinterlegte Kontoverbindung im Zuwendungsempfängerregister veröffentlicht wird. Logischerweise ist das nicht immer ein Spendenkonto!
Im Gesetzesentwurf spiegelt sich – wie schon erwähnt – eine Anforderung der Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmer wider, nämlich dass eine Änderung der veröffentlichen Daten möglich sein muss. Aber wie? Auf Antrag, in einem Online-Formular? Auch das ist noch nicht geklärt.

Und wie das eigentliche Spendenbescheinigungs-Verfahren oder womöglich eine Spenden-App aussehen wird, welche Datensätze von A nach B oder C fließen werden und in welchem Datenformat, das alles wissen wir noch nicht.

Mir stellt sich ja schon die Frage, ob eine zentrale Spendenplattform des Staates wirklich eine Lösung darstellt, nur um die Zuwendungsbestätigung dann abzulösen.

Aus Sicht des Verbandes ist das definitiv keine sinnvolle Lösung. Das haben wir im Workshop sehr deutlich gemacht und wurden dabei von den anderen anwesenden Organisationen unterstützt. Wir haben im Bereich Fundraising seit 40, 50 Jahren Expertise aufgebaut, auch rund um das Thema Online-Spenden. Es gibt Dienstleister dazu, die entsprechende Apps und Software-Systeme mit entsprechenden Funktionalitäten anbieten. Das ausgeklügelte System von Werbecodes, Danksystematik, Auswertungen, Verwaltung von Anlass-Spenden, Bußgeldverwaltung und so weiter beruht auf der Logik, dass den Zahlungsdaten bestimmte Informationen mitgegeben und automatisiert verarbeitet werden können. All diese Informationen würden bei einer solchen App (Stand heute) natürlich fehlen.

Haben Sie ein Beispiel?

Wenn Peter Müller über eine solche App spenden würde, würde die Organisation lediglich die Zahlungsdaten bekommen: Betrag, Datum, Kontoinhaber und eventuell eine Angabe zum Verwendungszweck. Die Angabe einer Adresse wäre nicht mehr notwendig, sondern freiwillig, weil die Organisation ja keine Spendenbescheinigung mehr ausstellen würde. Außerdem könnten große Organisationen, die ihre Spender nicht persönlich kennen, nur über die Kontoverbindungen prüfen, ob dieser Mensch eventuell schon einmal gespendet hat. Mit anderen Worten: Dubletten, anonyme Spenden und viel mehr Rechercheaufwand würden meiner Meinung nach auf die Organisationen zukommen. Ich befürchte, dass dieser Aufwand größer werden kann als die Zeitersparnis durch das Nicht-Ausstellen der Zuwendungsbestätigungen. Jeder Verein sollte sich mal vorstellen, dass er eine Großspende von beispielsweise 5000 Euro erhält und nicht weiß, bei wem er sich dafür bedanken soll.

All diese Auswirkungen können Menschen, die nicht in dieser Branche arbeiten, nicht wissen. Aber abgesehen von den oben genannten Fragen: Die alltäglichen Probleme von Fundraisern im Spendenservice können „Externe“ ebenfalls nicht kennen. Woher sollen sie beispielsweise wissen, dass es Spender gibt, die sich bei einer Überweisung vertun, 1.000 Euro statt 100 Euro überweisen und am nächsten Tag anrufen und um eine Rücküberweisung bitten? Von Anlassspenden und Ähnlichem mal ganz zu schweigen.

Das heißt aber eigentlich, dass es noch gar nicht die richtigen Mittel hat, um das Ganze dann umzusetzen?

So sehe ich das. Wir stehen erst ganz am Anfang. Das neue Zuwendungsempfängerregister ist die Voraussetzung für ein zukünftiges Verfahren – nicht mehr aber auch nicht weniger. Denn alle Vereine, Stiftungen und so weiter erhalten erstmalig eine eindeutige Wirtschafts-ID. Die Verbesserungen, die wir in das Wachstumschancen-Gesetz einbringen konnten, betreffen nur dieses Register, nicht das Verfahren.

Was den Zeitplan zum Verfahren angeht, kam im Workshop eine klare Aussage vom damaligen Leiter, Alfred Reusch: „Da haben wir nicht den Zeitdruck. Es gibt das Ziel, möglichst in dieser Legislaturperiode das Verfahren gemeinsam zu erarbeiten.“ Und dann müsste man schauen, was sich daraus für die Gesetzgebung ergibt. Denn wenn den Vereinen diese Aufgabe (Erstellen der Zuwendungsbescheinigungen) abgenommen wird, muss das gesetzlich geregelt werden.

Knackpunkt ist ja, dass die Spenderinnen und Spender für eine solche automatisierte Spendenmeldung identifizierbar werden müssen. Deshalb wohl auch die Überlegung mit der Spenden-App, richtig?

Ja, der Zuwendungsempfänger muss eindeutig identifizierbar sein und die Spenderinnen und Spender natürlich auch. Der Zuwendungsempfänger, zum Beispiel ein Verein, ist zukünftig durch die Wirtschafts-ID eindeutig identifizierbar. Die Spender sind es bereits durch ihre Steuer-Id. Die individuelle Steuer-ID und das Finanzamt der Spender würden dann in der Spenden-App hinterlegt. Beim Spenden würde man also die gemeinnützige Organisation auswählen und zum Beispiel ein Häkchen setzen, wenn die Spende als Sonderausgabe berücksichtigt werden soll. Den Rest (Info an das jeweilige Finanzamt „Wer hat wem wann wie viel gespendet?“) würde dann die App erledigen.

Eine theoretische Alternative wäre, dass die Organisationen die Steuer-ID und Geburtsdaten der Spenderinnen und Spender verwalten und dann ein digitaler Prozess entwickelt wird. Aber das ist keine ernsthafte Option. Wer würde diese Daten denn weitergeben? Bei Testfragen in meinem privaten Umfeld habe ich nur große Augen gesehen – niemand wäre bereit gewesen, diese hochsensiblen Daten einfach so rauszugeben! Ganz abgesehen von den Datenschutz-Problemen, die sich daraus ergeben würden. Bei so sensiblen personenbezogenen Daten darf man – meiner Meinung nach – die Verantwortung nicht auf Vereine und Stiftungen abwälzen, nur damit die digitalen Prozesse der Finanzverwaltung schlanker werden. Das geht nicht, da muss ein anderes Verfahren her.

Das Thema Steuer-ID ist aber vom Tisch?

Ja, das ist wohl vom Tisch. Nun gilt es, eine Alternative zu finden. In Österreich gibt es ja bereits ein solches Verfahren. Das könnte man sich ruhig mal genauer anschauen. Wir als Verband haben ja auch hervorragenden Kontakt zu den Kolleginnen und Kollege dort. Aber 1:1 lässt sich das Verfahren leider nicht so einfach von Österreich auf Deutschland übertragen.

Täuscht der Eindruck, dass das Verständnis für die Zivilgesellschaft und Non-Profit-Organisationen auf Regierungsseite nicht sehr ausgeprägt ist? Weiß man, dass dort fast 700.000 Vereine und Stiftungen spendenabzugsberechtigt sein könnten?

Die Zahl dürfte bekannt sein, aber so richtig hat man das aus meiner Sicht nicht auf dem Schirm. Ein Indiz dafür ist, dass in dem Entwurf des Wachstumschancen-Gesetzes eine Rubrik zum Thema Erfüllungsaufwand gibt. Da ist aber nur von dem Erfüllungsaufwand für Verwaltungen, für Wirtschaft, für Bürger die Rede ist. Punkt. Die Vereine und Stiftungen spielen da gar keine Rolle. Mir fehlt die organisierte Zivilgesellschaft hier komplett.

Müssen die Verbände und Non-Profit-Organisationen sich viel stärker gemeinsam artikulieren? Müssen sie Krach machen? Was wäre Ihr Wunsch hier?

Bisher war oder ist der Deutsche Fundraising Verband tatsächlich der einzige Verband, der so proaktiv reingegangen ist und auch Zeit und Geld investiert – und das seit mehreren Jahren. In den letzten Monaten haben wir sehr viel bei anderen Verbänden, Vereinen und Netzwerken getrommelt, und das zeigt endlich Wirkung. Kein Wunder, der 1. Januar 2024 ist ja nur noch ein „paar Tage“ entfernt. Meiner Meinung nach müssten wir uns regelmäßig treffen und austauschen. Ich fände es gut, wenn wir als Zivilgesellschaft diesen Prozess nicht nur kritisch begleiten, sondern auch selbst Ideen entwickeln, aktiv an praktikablen Vorschlägen arbeiten und diese mit den Verantwortlichen diskutieren.

Übrigens: Der Fundraisingverband hat ein Musterschreiben für Organisationen entworfen, damit diese sich an ihr lokales Finanzamt wenden und erst einmal abfragen, welche Daten dort eigentlich vorliegen, damit ab dem 1. Januar 2024 zumindest die korrekten Daten veröffentlicht werden. Dieses Musterschreiben steht Mitgliedsorganisationen natürlich kostenfrei zur Verfügung.
Ziele dieser Aktion: 1. die Organisationen können ihre Daten überprüfen, damit diese ab 1. Januar 2024 auch korrekt veröffentlicht werden und 2. Der Deutsche Fundraisingverband will sich damit als Kooperationspartner anbieten. Denn viele Prozesse rund um das Zuwendungsempfängerregister müssen ja auch getestet werden! Und daran könnten wir uns konstruktiv beteiligen.

Ist das Zuwendungsempfängerregister ein Flop? Nein, das Ziel, mehr Transparenz zu schaffen, ist sehr gut. Der Sektor kann so auch erst mal wissenschaftlich besser erforscht werden. Aber auch dafür muss man wissen, welche Daten wann und wie zur Verfügung gestellt werden.

Bildquellen

  • Doris Kunstdorff: Thomas Bhatti/Cloud & Rüben
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