Die angekündigte Krise

Die Deutsche Parkinsonvereinigung (Bundesverband) steht am Pranger. Ihr ehemaliger Geschäftsführer soll 1,8 Millionen Euro veruntreut und es auch Vetternwirtschaft gegeben haben. Doch diese Krise hat einen langen Anlauf.

Im August 2023 platzte die Bombe. Auf der Delegiertenversammlung der Deutschen Parkinson Vereinigung Bundesverband e.V. (dPV) wurde den Mitgliedern mitgeteilt, dass gegen den ehemaligen Geschäftsführer Rechtsanwalt Friedrich-Wilhelm Mehrhoff eine Anzeige gestellt wird, wegen Veruntreuung von 1,8 Millionen Euro. In der Erklärung des Verbandes heißt es: „Erst ein vertraulicher Hinweis auf ein ominöses, bis dahin unbekanntes Schattenkonto der dPV löste Ermittlungen aus. Diese ergaben, dass die bisherigen Vorwürfe nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein dürften. Das Schattenkonto war im Jahr 2007 vom ehemaligen Geschäftsführer eingerichtet worden und blieb lange Jahre unentdeckt. In den Jahresabschlüssen des Vereins fand es keine Erwähnung, und auch der Vorstand dürfte keine Kenntnis gehabt haben.“

Von der Selbsthilfe zur Selbstbedienung

Der Verband wurde 1981 gegründet. 1988 unterstützte der Paritätische Wohlfahrtsverband die Einrichtung eines Büros in Neuss aus Mitteln der „Aktion Sorgenkind“, heute Aktion Mensch. Für einen Verband der Selbsthilfe mit tausenden Mitgliedern ein normaler Vorgang. Im selben Jahr wurde der Rechtsanwalt Friedrich-Wilhelm Mehrhoff zum Geschäftsführer ernannt und zog in das neue Büro in Neuss in der Moselstraße 31.

Der Verband entwickelte sich, hatte aber zunehmend mit fallenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Diese versuchte man mit Fundraisingmaßnahmen auszugleichen und hatte in den 1990er und 2000er Jahren auch noch enge Beziehungen zur Pharmaindustrie. Ein Förderkreis hatte laut einer alten Website illustre Namen zu bieten wie: Boehringer Ingelheim, DuPont Pharma, GlaxoSmithKline, Orion Pharma, Roche oder Schering. Doch schon Anfang der 2000er wurden dies Verquickungen in der Selbsthilfe immer stärker kritisiert.

Der Bremer Gesundheitsökonom Prof. Dr. Gerd Glaeske hatte in seiner Studie „Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe“ von 2006 festgestellt, dass zu einem „nicht unerheblichen Anteil“ die Selbsthilfe ihre Finanzierung durch private Geldgeber, so aus Stiftungen, Spenden und Sponsoring bestreite. Im Jahr 2004, heißt es, habe dieser Anteil knapp 24 Prozent des Gesamtvolumens betragen. Untersucht hatte er dabei auch die Deutsche Parkinson Bundesvereinigung, einen der zehn größten Verbände der Selbsthilfe, und bekam laut Mitarbeiterin Kirsten Schubert trotz anderthalbjähriger Bemühungen keine Antworten.

Ausstieg aus dem DZI-Spendensiegel

Diese Verschlossenheit hatte offenbar System, denn schon 2004 verabschiedete sich der Selbsthilfeverband vom dzi-Spendensiegel. Auch wenn er sich in den Folgejahren bemühte, die Kriterien des dzi als Grundlage in seinen Geschäftsberichten zu nutzen, wurde deutlich, dass die Kosten enorm stiegen. Im dzi-almanach 2003/2004 wurden die Kosten noch im Bereich von 10-20 Prozent angegeben und als „angemessen“ tituliert. Im Geschäftsbericht 2014 liegen die Kosten für Verwaltung, insbesondere Büro und Personal und Werbeausgaben schon deutlich im oberen Drittel der Zulässigkeit beim dzi, also zwischen 20 und 30 Prozent. 2010 beschloss die Delegiertenversammlung laut Geschäftsbericht 2014, das Siegel aus Kostengründen nicht erneut zu beantragen, sondern das eingesparte Geld lieber den Patienten zu Gute kommen zu lassen.

Nicht erstmals in der Krise

Im Mai 2010 kam der Verband dann erstmals öffentlich in Verruf. Zwei Mitglieder machten in einem Schwarzbuch deutlich, dass zu viel Geld in die Bundesgeschäftsstelle und insbesondere in die Geschäftsführung fließt. Dabei konnten sie allerdings Zahlen nur schätzen. Trotzdem griff „Der Spiegel“ das auf und machte die Zahlen in seinem Artikel „Alles sehr schlicht“ öffentlich. Angeblich flössen 60 Prozent der Einnahmen in die Verwaltung und das teure Büro in Neuss. Das wäre ein Betrag von 1,1 Millionen Euro. Die damalige und bis zum Skandal 2023 im Amt stehende Vorsitzende Magdalene Kaminski beteuerte daraufhin in einer Stellungnahme gegenüber der Presse, mehr Transparenz zu zeigen.

Das hieße aber auch mehr Kontrolle. Stattdessen hatte die Vereinigung den gerade noch wegen seiner enormen Ausgabefreudigkeit kritisierten Geschäftsführer laut Handelsregister schon am 2. Februar 2010 als „besonderen Vertreter zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen, verwaltungsmäßigen und personellen Angelegenheiten“ nach §30 BGB bestellt. Er konnte also jetzt auch Personal einstellen, Konten eröffnen oder ändern und den Verband allein vertreten. Das heißt nicht, dass er nicht auch von der Delegiertenversammlung oder dem ehrenamtlichen Vorstand, der seit 2011 im Vier-Augen-Prinzip agiert, hätte kontrolliert werden können. Doch die beiden Autoren des Schwarzbuches hatten festgestellt, dass der Vorstand nicht willens war, ihrem starken Mann wirklich in die Parade zu fahren.

Konten-Wirrwar im Verband

Ein Umstand machte die Manipulation von Konten bei dem Selbsthilfe-Verband wohl besonders einfach. Schon „Der Spiegel“ hatte 2010 herausgefunden, dass Mehrhoff gegenüber dem Amtsgericht die Zahl der von der dpv für die vielen Selbsthilfegruppen verwalteten Konten mit 2.000 angegeben hatte. Das spätere von Mehrhoff genutzte Schattenkonto legte er schon 2007 bei der Spardabank Neuss an. Es dürfte in dem Meer von Konten kaum aufgefallen sein. Dieses nutzte er später, um dort sein persönliches Zusatzeinkommen zu generieren und über dieses Geld mit Barabhebungen zu verfügen. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ warf die neue Vorsitzende des Verbandes Tina Siedhoff Mehrhoff vor „mit hoher krimineller Energie in die eigene Tasche gewirtschaftet“ zu haben. Mehrhoff habe „über die Jahre mehr als 1,8 Millionen Euro des Vermögens der Deutschen Parkinson Vereinigung veruntreut“.

Fehlende Kontrolle

Hilfreich wäre an dieser Stelle die Rolle eines unabhängigen Dritten gewesen: der Wirtschaftsprüfung. Denn bei einem Verband mit jährlichen Millionen-Einnahmen und hohen Zuschüssen durch Krankenkassen ist eine solche Prüfung Pflicht. Doch Mehrhoff gelang es wohl, das betreffende Konto zu verbergen. Zwischen 2013 und 2022 buchte er offenbar 1,5 Millionen Euro aus Erbschaften und anderen Quellen auf das „Schattenkonto“ um. Wieso das der damals beauftragten Wirtschaftsprüfung nicht auffiel, ist ein Rätsel und wird nun vom neuen Vorstand aufgeklärt werden müssen. Auch welche Rolle eine langjährige Mitarbeiterin dabei spielt, die schon 2010 als rechte Hand Mehrhoffs im Schwarzbuch auftaucht und die nach den Informationen des Rechercheverbundes ebenfalls einen sechsstelligen Betrag überwiesen bekam.

Neuer Vorwurf Vetternwirtschaft

Noch hinzu kommt nun offenbar auch Vetternwirtschaft. Im September veröffentlichte das Recherchenetzwerk weitere Details nach denen der Neffe besagter Mitarbeiterin allein für die Betreuung der Facebook-Seite der Parkinson-Vereinigung im Jahr 2022 mehr als 44.000 Euro erhalten haben soll. Ein Blick auf die Facebook-Seite zeigte ganze 13 Postings in Jahr 2022. Das heißt 3.384 Euro pro Post.

Neuanfang mit neuer Wirtschaftsprüfung

Die neue Verbandsspitze will nun aufräumen. Eine Untersuchung der Kanzlei Dr. Ganteführer Marquardt & Partner brachte die Verfehlungen an Licht. Für den Verband ist das ein weiterer Nackenschlag. Anfang der 2000er Jahre war der Verband noch über 23.000 Mitglieder stark. Heute sind es gerade mal noch 14.000 in 300 Selbsthilfegruppen deutschlandweit. Der Imageschaden ist enorm, und der Verband befürchtet zu Recht, dass sich noch mehr Mitglieder und Spenderinnen und Spender abwenden. Andere Parkinson-Initiativen versuchen, sich von der dpv abzusetzen: „Es wäre ein großer Rückschlag, sollten die für die Parkinson-Forschung so wichtigen Spenden und Nachlässe aufgrund des aktuellen Falles ausbleiben“, betont Prof. Dr. med. Jens Volkmann, erster Vorsitzender der eigenständigen Parkinson Stiftung. Das alles hatte man abwenden können, wenn man auf die teilweise detailreichen Hinweise wie das Schwarzbuch oder aus den eigenen Reihen seriös mit einer unabhängigen Untersuchung reagiert hätte. Ein ehemaliger Schatzmeister hatte sogar angeboten die Kosten dafür zu übernehmen. Stattdessen überzogen der Geschäftsführer und sein Vorstand die Kritiker mit Prozessen. Auch der Landesverband Baden Württemberg schreibt in einer aktuellen Stellungnahme: „Unser eigenständiger (!) und ausschließlich ehrenamtlich geführter Landesverband hat seit vielen Jahren verdächtige Unregelmäßigkeiten der Geschäftsführung im Bundesverband beobachtet und kritisiert – lange Zeit erfolglos als „Einzelkämpfer“ – von der jährlichen Bundesdelegierten-Versammlung mehrheitlich belächelt und nicht ernst genommen.“ Der Verband krankte also hier nicht nur vom Kopf her. Fehlende unabhängige Kontrollen machten es dem ehemaligen Geschäftsführer offenbar zu leicht, Gelder zu unterschlagen.

Ein Kommentar zu „Die angekündigte Krise

  • 10. Oktober 2023 um 14:41
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    Whow! Endlich mal kein Pseudo-Skandal! Ausnahmsweise ist es kein „NGO-Skandal“ eines einzelnen Enthüllungsjournalisten, der sich als Fachmann geriert, aber weder vorher noch nachher über NGOs berichtet.
    In diesem besonderen Fall handelt es ich um eine Recherche von NDR, WDR und SZ und wie es scheint, erschöpft sich diese Geschichte nicht in Vermutungen und in kürzester Zeit.
    Eine Kollegin kommentierte vor Kurzem: „Vermutlich kommt das häufiger vor, als uns lieb ist. Und wird eben nur ab und an mal aufgedeckt.“ Als Fundraiser und Mitgründer des DFRV Ethik-Ausschusses stimme ich dem ersten Satz eindeutig zu. Denn jeder Skandal dieser Art ist einer zu viel, also mehr, als uns lieb sein kann. Als langjähriger Beobachter der Berichterstattung über NGOs in Leitmedien stimme ich dem zweiten Satz nicht zu.
    Denn „Enthüllungen“ von Verfehlungen von NGOs sind aus diversen Gründen ein sehr beliebtes Genre. Aber fast keine der „Enthüllungen“ in den gut 400 Artikeln, die ich gelesen habe, hält einer ernsthaften Prüfung stand.

    Kurz: Wenn es mehr seriöse Enthüllungen gäbe, mehr Fälle, die auf soliden Recherchen und Fakten beruhen,
    dann hätten wir davon gehört und gelesen. Der aktuelle Fall lässt uns Alle aufhorchen! Wahrscheinlich zurecht.
    Aber der aktuelle Fall passt deutlich besser zu den echten Skandalen der „Gesundheitsindustrie“,
    als zu den strukturellen Schwächen gemeinnütziger Organisationen.
    Ja, als NGO-Berater und TFRS-Trainer glaube ich, dass es auch bei uns in Europa sinnvoll wäre,
    mehr auf ökonomische Fachkompetenzen zu achten, wenn es um die Besetzung von Vorstandsposten in NGOs geht. Aber aufgrund meiner Medien-Recherchen und meiner Berufserfahrung als Fundraiser und Berater glaube ich nicht, dass wir viele Fälle wie diesen finden. Wegen der Menschen, die ich NGOs kennen gelernt habe.
    Und weil echte, seriöse NGO-Skandale journalistisch ein viel zu leckerer Leckerbissen wären.

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