Dynamik des gemeinnützigen Engagements lässt nach

Im März wurde der Vorbericht des ZiviZ Survey 2023 veröffentlicht, der einen Blick auf das gemeinnützige Engagement in Deutschland wirft. Die darin vorgestellten Entwicklungen sind teilweise durchaus alarmierend. Fakt ist, die Politik bremst das Engagement bereits jetzt aus.

Schulter klopfen, öffentliche Würdigung des freiwilligen Engagements und Schirmherrschaften: Der Umgang der Politik mit dem gemeinnützigen Bereich ist bekannt. Immer mehr setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass die Politik zwar froh ist, dass es so viele Menschen gibt, die sich für unser Gemeinwesen stark machen, aber eher verhalten reagiert, wenn es um bessere Rahmenbedingungen geht. Das zeigt auch der ZiviZ-Survey-Vorbericht „Zivilgesellschaft in Krisenzeiten. Politisch aktiv mit geschwächten Fundamenten“.

Politik bremst demokratisches Engagement

Seit dem ATTAC-Urteil wird diskutiert, wie sich zivilgesellschaftliche Organisationen auch politisch äußern dürfen, wenn ihnen dann der Entzug der Gemeinnützigkeit droht. Der ZiviZ-Bericht stellt nun fest, dass Teile der Zivilgesellschaft verunsichert sind. Fünf Prozent der Organisationen geben an, sich aus Sorge um ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht intensiver politisch engagieren zu wollen. Überdurchschnittlich ausgeprägt ist diese Sorge insbesondere in den Engagementfeldern Umwelt (11 %) und internationale Solidarität (10 %). Im Kulturbereich sind es fünf Prozent, bei Sport und Katastrophenschutz immer noch vier Prozent. Das klingt nicht viel. Aber bei einem von ZiviZ erhobenen Stand von 656.888 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland bedeutet das: 30.000 Vereine mischen sich nicht für Demokratie ein, obwohl sie es wollen.

Dazu erklärt Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von an die 200 Vereinen und Stiftungen: „Dass Tag für Tag wichtiges Engagement für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit unterbleibt, weil Vereine um ihren Gemeinnützigkeits-Status bangen, wissen wir – Politikerinnen und Politiker haben uns das oft nicht geglaubt. Dass einer von 20 Vereinen aus dieser Sorge heraus seine Arbeit beschränkt, hat mich dennoch überrascht. Vermutlich ist die Zahl sogar höher. Denn selbst bei einer anonymen Befragung geben Vorstände solche Ängste oft nicht an.“ Die Allianz setzt sich deshalb dafür ein, dass die im Koalitionsvertrag verabredeten Sofortmaßnahmen nun endlich angegangen werden.

Rückläufiges Engagement?

Die Corona-Pandemie stellte Organisationen vor besondere Herausforderungen in der Gewinnung und Bindung von Mitgliedern und freiwillig Engagierten. Mehrheitlich waren die Zahlen an Mitgliedschaften und freiwillig Engagierten in den vergangenen fünf Jahren stabil. Dennoch berichten 21 Prozent der Organisationen in der aktuellen Erhebungswelle von rückläufigen Engagierten-Zahlen. Das sind mehr als in 2012 (15 %) und 2016 (17 %). Auch, wenn sich dadurch noch kein flächendeckender Rückgang im Engagement belegen lässt, zeigt sich, dass einzelne Segmente der Zivilgesellschaft durchaus vor großen Herausforderungen in der Bindung und Rückgewinnung von Engagierten stehen. Während Sportorganisationen am häufigsten von sinkendem Engagement (27 %) betroffen sind, berichten Umwelt- und Naturschutzorganisationen am häufigsten von steigenden Zahlen (32 %).

Herausforderung Finanzierung

Zivilgesellschaftliche Organisationen finanzieren sich weiterhin in erster Linie eigenständig durch Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und aus selbsterwirtschafteten Mitteln. Externe Finanzierungsformen wie Spenden oder Fördermittel machen in der Gesamtschau einen geringeren Anteil am Finanzierungsmix aus. Allerdings berichten weniger Organisationen als in der vergangenen von steigenden Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen und selbsterwirtschafteten Mitteln. Nur 16 Prozent der Organisationen haben im Jahr 2021 zudem Corona-Hilfen vom Staat erhalten. Ein Viertel der Organisationen bewertet die aktuelle Finanzlage nur mit der Note ausreichend oder mangelhaft. Der Finanzierungsdruck bleibt also.


Fianzierung von Vereinen - Grafik

Auch die Finanzierungserwartung an den Staat nimmt zu. Zwar sind noch immer 54 Prozent der Organisationen der Ansicht, dass sie ihre Aktivitäten selbst durchführen und finanzieren sollten, dennoch zeigt sich: Während im Jahr 2016 noch 31 Prozent der Organisationen angaben, dass ihre Arbeit vermehrt vom Staat finanziell unterstützt werden sollte, stieg der Wert in 2022 auf 40 Prozent an.

Weniger Vereine gegründet

Allerdings werden von Jahr zu Jahr weniger neue Vereine gegründet. Zeitgleich tauchen deutlich mehr gemeinnützige Kapitalgesellschaften auf, deren Zahl zwischen 2016 und 2022 um 27 Prozent wuchs. Auch hier zeigt sich, dass gemeinnütziges Handeln wirtschaftlich geprägt sein kann. Auch hier bremst die Regierung bei der Einführung einer eigenen steuerlich begünstigten Handelsrechtsform für Social Entrepreneure oder soziales Unternehmertum seit Jahren. Ausdruck dessen ist auch der Anstieg der Gründung von gemeinwohlorientierten Genossenschaften. Dazu zählen laut Auslese des Genossenschaftsregisters durch ZiviZ 284 Genossenschaften mit anerkanntem Gemeinnützigkeitsstatus, 966 Energiegenossenschaften und weitere 647 gemeinwesenorientierte Genossenschaften, wie zum Beispiel Dorfläden, Kinos, Brauereien, Bürgerhäuser oder Mehrgenerationenhäuser.

Die meisten Vereine gibt es in den bevölkerungsstärksten Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden Württemberg. Die höchste Steigerung bei den Vereinsgründungen weist Berlin mit satten 22 Prozent, Bayern mit 10 Prozent und Niedersachsen mit 7,5 Prozent. Schlusslichter sind Thüringen, Bremen, Mecklenburg Vorpommern. Hier ging die Zahl der Vereine seit 2016 um 5 bis 7,5 Prozent zurück. Thüringen hat gemessen an der Bevölkerungszahl aber immer noch bundesweit die dritthöchste Vereinsdichte hinter dem Saarland und Rheinland-Pfalz.

Rahmenbedingungen stärken Kurzum: Noch ist der sogenannte dritte Sektor in Deutschland ein wichtiger prägender Faktor, der auch in der Bevölkerung viel Zuspruch erhält. Die Zahlen des ZiviZ-Survey belegen aber, das die Rahmenbedingungen dringend gestärkt gehören. Dass so wenige Einrichtungen beispielsweise Corona-Hilfen erhielten, lag auch daran, dass sie gar nicht antragsberechtigt waren. Diese fehlende Wertschätzung des Sektors zeigt sich auch an der schleppenden Reform des Gemeinnützigkeitsrechts. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf, um die Verunsicherung bei Vereinen und Stiftungen nicht noch größer werden zu lassen.

Bildquellen

  • Fianzierung von Vereinen: ZIVIZ-2023
  • Leere Sitze: pxhere.com
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