Fröhliche Fahrt auf sinkendem Schiff
Der Fundraising Kongress 2022 ist vorbei. Matthias Daberstiel war für uns dort und hat die Augen und Ohren offen gehalten. Sein Fazit ist positiv und ernüchternd zugeich, denn der Kongress droht nach seiner Ansicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
von Matthias Daberstiel
Es ist wieder Fundraising-Kongress! Jahrzehntelang lag in diesem Satz Vorfreude auf das Branchentreffen der Fundraising-Szene. Mit bis zu 1.000 Menschen aus dem gemeinnützigen Sektor, die sich austauschen, streiten, sich weiterbilden. Doch der aktuelle Kongress nach Corona lieferte ein ganz anderes Bild ab. Aber beginnen wir mit dem Positiven.
Der Kongress 2022 in Berlin hatte eine sehr schöne lockere Atmosphäre. Die Stimmung war sehr gut und entspannt. Dafür verantwortlich war auch die Agentur Kaiserwetter, die für einen reibungslosen Ablauf sorgte. Allen merkte man an, dass ein Treffen in Präsenz seinen Wert hat. Unheimlich viele Neulinge, die weniger als drei Jahre im Fundraising sind, dominierten den Kongress. Das war sehr erfrischend. Besonders in der von Jörg Reschke moderierten Austauschrunde „anonymer Online-FundraiserInnen“ fiel das auf. Sogar ein Promi, wie Neven Subotic, ehemaliger Profifußballer und Stifter war vor Ort.
Licht und Schatten beim Inhalt
Einige inhaltliche Beiträge kann man getrost hervorheben. Wie man mit Ankerwerten, also Spendenvorschlägen, seine Ergebnisse sympathisch und zielgruppengerecht boostert, demonstrierten Till Mletzko und Carsten Direske von der Wikimedia Foundation. So wünscht man sich inhaltliche Beiträge beim Kongress: transparent, offen, ehrlich und erfrischend in der Präsentation. Responsezahlen, Durchschnittsspenden, Gesamtvolumen: Die Zahlen der von ihnen durchgeführten Tests, die sie vorlegten, taugten auch für kleiner Organisationen als Anschauung, wie man mit kleinen Upgrades bessere Ergebnisse erzielen kann. Danke für diese Offenheit und den How-to-Input! Ähnlich auch im Workshop von Amnesty International, wo Oliver Reff und Eva Hieninger über ihre Digitalisierungsstrategie sprachen. Susanne Prochnow von Fragile Suisse und Marc André Pradervand erläuterten unter dem Motto „Liebe Deine Spender“ vor brechend vollem Haus, wie optimaler Spenderservice aussehen kann. Offenbar ein drängendes Thema in Zeiten von User Experience und Emotionalisierung von Fundraising-Marken.
Sparfuchs macht sich bemerkbar
Sonst blieb der Kongress inhaltlich einiges schuldig. Statt eines mitreißenden Impulses zu Beginn eine Podiumsdiskussion, der durch eine missglückte Moderation komplett die Einordnung fehlte und das Thema der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts leider vor den Baum setzte. Das kann man deutlich besser präsentieren. Statt einer Gala mit Fundraisingpreis-Verleihung ein schlichtes und recht trockenes Buffet, das dringend nach Soße rief. Statt einem spannenden Schluss-Event: eine per Video zugeschaltete Kollegin aus den USA, der man durch technische Schwierigkeiten kaum folgen konnte. Man hatte den Eindruck hier wird gespart. Und das bei einem Eintrittspreis zwischen 800 und 1.000 Euro.
Viele Teilnehmer kritisierten die teilweise sehr werblichen Vorträge, aber auch den fehlenden roten Faden in der Programmgestaltung. Bei den Präsentationen dominierten die Vorträge. Ein echter Austausch kam nur individuell in den gut bemessenen Pausen zustande. Austauschformate wie das der Online-Fundraiser gab es sonst nur in den thematischen Arbeitsgruppentreffen, die sich großen Zuspruchs erfreuten. Das lässt auf eine fruchtbare Verbandsarbeit hoffen. Auch das die Fundraising-Preisträger die Möglichkeit hatten, ihre prämierten Projekte vorzustellen, war eine gute Idee und ein Gewinn. Warum aber dann nicht auch eine Preisverleihung vor Ort? Fundraiserinnen und Fundraiser lieben normalerweise emotionale Höhepunkte.
Tagen unter Kunstlicht
Der Veranstaltungsort, das MOA-Hotel in Berlin war für eine Tagung nicht der schlechteste Ort. Kurze Wege vom zentralen Ausstellungsbereich in die Tagungsräume machten die Orientierung leicht. Auch die neue App leistet hier hervorragende Dienste. Aber zu Recht wurde beklagt, dass die Räume gar kein Tageslicht hereinließen und man den ganzen Tag wie in einem Labor unter Kunstlicht tagte. Das ermüdete alle sichtlich. Hervorzuheben ist an dieser Stelle das hervorragende Personal des Hotels. Enorm zuvorkommend, schnell und geräuschlos. Da akzeptiert man es auch leichter, dass wegen des vom Verband angesprochenen Personalmangels im Hotel am Sonntag bereits um 21 Uhr der Schlussstrich gezogen werden musste.
Termin passte nicht
Apropos Sonntag. Der Termin des Kongresses war enorm kontraproduktiv, aber der Corona-Lage geschuldet. Das ist besonders bedauerlich, weil den beiden Fachtagen zum Thema Fördermittel und Leadership so größeres Interesse versagt blieb. Die Organisatoren hatten auch Schwierigkeiten, erfahrene Menschen für inhaltliche Beiträge zu finden, weil beispielsweise christliche Organisationen am Sonntag aus Prinzip nicht arbeiten. Der Termin im September dürfte auch ein Grund sein, warum viele alte Hasen dem Kongress fern blieben. Aktuell ist einfach viel zu tun und die Personaldecke ist enorm dünn. Das ließ sich auch an der Jobwand des Fundraising-Magazins ablesen, wo 16 Jobs aushingen, die erst in der Woche zuvor aufgegeben wurden. Insgesamt waren knapp 500 Personen angemeldet. Davon kamen laut App etwa die Hälfte aus Non-Profit-Organisationen. Vor Corona lagen die Zahlen zwischen 600 und 800, noch früher bei 1.000 Teilnehmenden. Da lag der Kongress noch im April oder Mai und zentral erreichbar in der Mitte Deutschlands.
Fazit: beunruhigend
Mein Eindruck ist, dass der große Kongress nach wie vor seine Berechtigung hat, er aber immer mehr Schlagseite bekommt. Es braucht dringend eine Generalüberholung. Attraktive Themen aus der Mitte des Verbandes, nationale oder internationale Keynotes, die eine Botschaft vermitteln und ein stringentes, an den Bedürfnissen orientiertes Programm haben den Kongress früher stark gemacht. Wichtige Sponsoren der letzten Jahre sind bereits abgesprungen, Fundraising-Leitungen kaum mehr zu sehen. Das sollte zu denken geben, insbesondere, weil der Verband gerade sein 1.777 Mitglied begrüßte, und deshalb das Potenzial für deutlich mehr Besucher hätte. Stattdessen wird sich fröhlich gefeiert, als gäbe es die offensichtlichen Defizite nicht. Das macht nachdenklich.
Neue Impulse für mehr Besucher
Ein Termin für 2023? Fehlanzeige! Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist mittlerweile deutlich negativ. Der Preis von 800 bis 1.000 Euro ist selbst für große Organisationen kaum mehr zu schultern, und das zeigt sich auch an den deutlich sinkenden Besucherzahlen in den letzten zehn Jahren.
Ich möchte aber noch mit einem positiven Aspekt enden. Der Kongress versucht in vielerlei Hinsicht nachhaltig zu sein. Das passt in die Zeit und steht ihm gut zu Gesicht. Zur Nachhaltigkeit gehört aber auch, dass sich das Flaggschiff des Fundraising Verbandes in seinem Jubiläumsjahr 2023 durch ein fröhliches „Weiter so!“ nicht weiter ramponiert und selbst versenkt. Dafür braucht es jetzt dringend neue Impulse.
Bildquellen
- Fundraising Akademie beim DFRK: MD
- Deutscher Fundraising Kongress 2022: Yehuda Swed