Ukraine-Hilfe ermattet

812 Millionen Euro spendeten die Deutschen seit dem Februar für Menschen und Material in der Ukraine. So die Mitteilung des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. Doch viele Initiativen klagen über mangelnde Spendenbereitschaft angesichts der Krise.

Der Ukraine-Krieg ist seit dem 24. Februar 2022 Thema in jeder Nachrichtensendung. Diese Aufmerksamkeit sorgt, trotz mittlerweile fehlender medialer Spendenaufrufe, für einen Spendenrekord von inzwischen 812 Millionen Euro, wie das Deutsche Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) mitteilt.

Höchstes Spendenaufkommen

Mit dem jetzt erreichten Zwischenstand haben die Spendensammlungen zugunsten der Ukrainerinnen und Ukrainer nominal zum höchsten Spendenaufkommen geführt, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland für eine einzelne Katastrophe gemessen wurde. (siehe Graphik). Unter Berücksichtigung der Geldwertentwicklung ist das Spendenaufkommen für die Betroffenen des Tsunamis in Südostasien 2004/2005 gleichwohl immer noch das höchste anlassbezogene Spendenaufkommen, da es auf heutigem Preisniveau einem Wert von 904 Millionen Euro entspricht. Der hohe ehrenamtliche Einsatz, der bereits geleistet wurde und Sachspenden sind hier noch nicht einmal eingerechnet. Das DZI schätzt, dass es sogar noch mehr Geld ist, weil auch viele kleinere Initiativen Geld gesammelt haben, die von der Organisationserhebung nicht berücksichtigt werden können, weil sie kein Spenden-Siegel tragen.

Spenden für die Ukraine
Spenden für die Ukraine

DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke macht sich aber auch Sorgen: „So wichtig und wirksam Spenden für die Menschen in und aus der Ukraine auch weiterhin sind, so machen Spendenaufrufe etwa bezüglich der dramatischen Hungerkrise im Sudan und anderen afrikanischen Staaten deutlich, dass auch dieser Teil der Welt auf Hilfe der Weltgemeinschaft dringend angewiesen ist“, hebt er hervor. Denn es zeigt sich schon, dass dieses Spendenaufkommen auch zu Lasten anderer Organisationen gehen wird.

Katastrophenspenden in Deutschland
Katastrophenspenden in Deutschland

Spendenbereitschaft sinkt

Gleichwohl ist die Spendenbereitschaft für die Ukraine von März bis Juni deutlich gesunken. Das zeigen die Zahlen des DZI auch. Aktion Deutschland hilft und auch die Stiftung RTL reagierten sehr schnell mit Online- und TV-Kampagnen und erzielten bereits im März Rekordeinnahmen von 179 Millionen Euro und 21,5 Millionen Euro. Mittlerweile hat sich das Spendenwachstum aber deutlich verlangsamt, wie die Graphik zeigt. Auch bei den anderen Aktionsbündnissen Bündnis Entwicklung hilft und Aktionsbündnis Katastrophenhilfe, die von medialer Aufmerksamkeit profitieren, liegt das Wachstum bis Juni bei deutlich weniger als 20 Prozent. Ganz anders bei den etablierten Not- und Katastrophenhelfern wie dem Deutschen Roten Kreuz. Die konnten mit ihrem breiten Unterstützernetzwerk offenbar noch stärker mobilisieren. Das DRK konnte seine Spendeneinnahmen von März mehr als verdoppeln und meldet ein Plus von 138 Prozent. UNICEF, Johanniter und Caritas legten um mehr als 60 Prozent, die Diakonie Katastrophenhilfe um fast 50 Prozent zu.

Ganz anders sieht es bei den kleineren Initiativen aus. Sie können wegen fehlender Unterstützung mittlerweile die Ukraine nicht mehr so stark unterstützen. Zuerst macht sich das an fehlenden Händen bemerkbar. Die Anzahl der freiwilligen Helfer ist laut Stadtmission Berlin stark gesunken. Besonders nach den Osterferien gab es einen Knick. Verständlich. Menschen müssen wieder arbeiten und Studentinnen und Studenten gehen wieder zur Uni.

Spenden im freien Fall

Beim Berliner Verein „Moabit hilft“ befinden sich auch die Spendeneinnahmen „im freien Fall“ wie es Sprecherin Diana Henniges gegenüber dem Tagesspiegel berichtet. Auch SOS Ukraine berichtet von dramatischen Spendeneinbrüchen. Yevhenii Lesnyk hatte die Organisation zu Kriegsbeginn gegründet und hofft auf weitere Hilfe denn: „Der Krieg ist nicht vorbei!“ Immer noch könnte sein Netzwerk in der Ukraine Hilfe leisten und Güter zielgerichtet verteilen, wie er SWR aktuell versichert.

Tafeln müssen kämpfen

Normalerweise müssten die Tafeln von der Ukrainehilfe mächtig profitieren. Versorgen sie doch viele Flüchtlinge seit Kriegsausbruch. Doch sie schaffen es nicht, um Spenden zu bitten. Sie plagen gerade noch ganz andere Probleme. Denn die Inflation steigert die Zahl der Bedürftigen exorbitant. Auch der Handel kalkuliert genauer, und es werden weniger Lebensmittel an die Tafeln, sondern gleich direkt in die Ukraine gespendet. Das führt zu einem krassen Missverhältnis zwischen Spendenrückgang und der wachsenden Zahl der Bedürftigen. Dass dann auch noch Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von Kommunen einfach an die Tafeln verwiesen werden, macht die Situation nicht leichter. Hier wäre ein finanzieller Ausgleich nur fair. Die Bürgermeisterin im sächsischen Torgau verwies in diesen Zusammenhang stolz auf die 400 Euro, die sie der Tafel einmal im Jahr überweist. Das sagt wohl alles.

Ausnahme ist die Berliner Tafel, die zumindest vormacht, wie man eine Spendenaktion gestaltet und auf die gestiegenen Anforderungen an sie hinweist. Mit ihrer Aktion „Eins Mehr!“ Anfang April warb sie offensiv um den Kauf haltbarer Lebensmittel für die Versorgung. Der Lohn waren sieben Tonnen Lebensmittel innerhalb von 14 Tagen. „Die Spendenbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner ist großartig. Gerade jetzt brauchen wir jede Packung Nudeln und jede Konserve, um dem steigenden Bedarf nachkommen zu können. Inflation und Krieg bedeuten, dass die Berliner Tafel mittlerweile weit mehr als 130.000 bedürftige Menschen im Monat unterstützt“, sagt Sabine Werth, Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel e.V. Ende April. Vor dem Krieg waren es 40.000 Menschen.

Auch in der Ukraine macht sich Erschöpfung breit. Das Spendenvolumen dort ist komplett ausgereizt. Viele spendeten auch für Waffen und Ausrüstung. Ein Beitrag des Deutschlandfunks zeigt, dass es auch schwarze Schafe gibt, die Hilfsgüter abzweigen und verkaufen. Deshalb arbeiten viele Organisationen vor Ort mittlerweile mit dem Geheimdienst zusammen, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass sich jemand bereichert.

Politik ohne Plan

Für Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland, ist das Problem zunehmend strukturell. Angesichts der Ausgabenflut für das Militär, die Energiesicherheit Deutschlands und der enormen Preisentwicklung warnt er bereits jetzt vor einem Kollaps des Ehrenamtes für Armutsbetroffene: „Ehrenamtsorganisationen können nicht das auffangen, was seit Jahren schief läuft in unserem Land. Der Staat darf sich nicht auf der Arbeit unserer 60.000 Helferinnen und Helfer ausruhen. Die Idee der Tafeln ist es, Menschen zu helfen, die kurzfristig in Not geraten sind. Viele Menschen sind allerdings inzwischen auf sie angewiesen, weil sich Armut in Deutschland so stark verfestigt hat.“ Und die Politik? Jetzt wäre beispielsweise der Moment gekommen Sachspenden von der Umsatzsteuer dauerhaft auszunehmen, umso die Spendenbereitschaft aus Industrie und Handel dauerhaft zu erhöhen und dieses im Koalitionsvertrag stehende Vorhaben zügig umzusetzen. Doch wieder gibt es nur einen Katastrophenerlass für die Ukrainehilfe. Der Verband der Familienunternehmer kritisiert das: „Die Hilfsbereitschaft der Unternehmen sollte nicht als staatliche Einnahmequelle herhalten“, bringt es deren Hauptgeschäftsführer Albrecht von der Hagen auf den Punkt. Hier herrscht Handlungsbedarf!

Bildquellen

  • Spenden für die Ukraine: DZI/Fundraising-Magazin
  • Katastrophenspenden in Deutschland: Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen
  • Berliner Tafel: Berliner Tafel/Dietmar Gust
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