Hochwasser: Deutschland in der Krise
Fast zwei Monate ist die Hochwasserkatastrophe her, die besonders Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen getroffen hat. Viel Spendengeld ist vor allem an die Aktionsbündnisse geflossen. Aber die Lage ist immer noch sehr undurchsichtig, und die Menschen vor Ort werden ungeduldig.
Über 350 Millionen Euro sind bereits für die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe gespendet worden. Eine Summe, die vergleichbar ist mit der Elbeflut 2002. Nur der Tusnami im Jahr 2005 hatte mit über 600 Millionen Euro eine größere Spendenbereitschaft ausgelöst, war aber auch etwa 14 Tage länger im Fernsehen und fiel mitten in die Weihnachtszeit.
Fernsehen pusht Spendenbereitschaft
Die Hochwasserkatastrophe war in den ersten 14 Tagen in den deutschen Medien omnipräsent. Besonders die Bündnisse „Aktion Deutschland hilft“ und das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe erzielten durch die täglichen Spendenaufrufe in ARD und ZDF Millionenspenden. Allein die Gala bei Sat.1 brachte über 31 Millionen für die „Aktion Deutschland hilft“. Diese Zahlen sind beeindruckend. Aber sie sind nur ein Teil der Hilfe.
Der andere Teil sind die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer vor Ort und an Handys und in Facebook-Gruppen. Tausende Menschen organisieren sich dort, um konkrete Hilfe vor Ort zu leisten. Sei es als Fluthelfer beim Ausräumen überfluteter Häuser oder dem Abstemmen von Wänden und ölverseuchtem Estrich oder um Sachspenden und private Geldspenden zu koordinieren. Schon 2013 hat der damalige Pressesprecher des THW in Bonn Nicolas Hefner gegenüber dem Fundraiser-Magazin betont, wie professionell die Facebook-Hilfe teilweise bereits organisiert war. Doch offenbar hat man diese Erkenntnis nicht in die Katastrophenvorsorge integriert. Auffällig ist nämlich, dass kaum eine der großen Organisationen in diesen Gruppen präsent ist und beispielsweise seine Hilfsangebote postet oder gar die Koordinierung mit übernimmt.
Findige Helfer vor Ort
Dabei wären hier Profis hochwillkommen und hätten sicher auch durch Fluthelfer verstopfte Straßen vermeiden geholfen. Aber auch dafür fanden freiwillige Helfer eine gute und schnelle Lösung: den Helfer-Shuttle. 90.000 Menschen nutzten bisher dieses Angebot, um organisiert mit Bussen ins Ahrtal zu reisen und dort Betroffenen zu helfen, die ihre Bedarfe konkret meldeten. In Walporzheim steht seit Wochen ein „Baustoffzelt“, in dem Betroffene und Helfer Baustoffspenden inserieren und von Privatpersonen, Firmen und Handwerkern gespendet bekommen und an die helfenden Handwerker vor Ort oder an die Betroffenen weitergeben. Sozusagen ein Spendenshop vor Ort. Der Vorteil der Facebook-Gruppen liegt hier einfach in der großen Zahl. Viele Menschen geben hier schnell hilfreiche Informationen weiter.
Und die Profis? Katastrophenhilfe ist ein schwieriger Prozess mit vielen Facetten und vor allem Zuständigkeiten. Im Rückblick ist leider zu sagen, dass das Ausmaß der Katastrophe am Anfang wohl unterschätzt wurde. Dabei waren die Bundeswehr, die Feuerwehr und das THW sofort im Einsatz. In Ahrweiler schwemmte das Hochwasser die Autos der ehrenamtlichen THWler und die THW Einsatzzentrale weg, währenddessen diese halfen. Auch die Bürgermeister, normalerweise Ansprechpartner Nummer eins im Krisenfall, waren selbst betroffen und mussten die Hilfekoordination erst einmal an den Kreis abgeben.
Am Anfang besteht jeder Rettungseinsatz aus einer Chaosphase, aber nach einer Woche sollte sich das spürbar ändern. Trotzdem bestand der Krisenstab in Rheinland Pfalz nur aus 200 Personen, um die Hilfe rund um die Uhr zu koordinieren. Für ein Gebiet von über 900 Quadratkilometern und 42.000 betroffene Haushalte! Kein Wunder, dass dann der Eindruck aufkam: Hier kommt kaum Hilfe an, und es geht sehr schleppend vorwärts. Besonders ärgerlich, wenn auf den Pressekonferenzen Erfolgsmeldungen herausgehen, die dann durch aktuelle Bilder-Postings bei Facebook von Betroffenen und Helfern schnell „korrigiert“ werden. So produziert man Ärger. Auch die Verantwortlichen in der Öffentlichkeitsarbeit unterschätzen offenbar die Kraft der Bilder vor Ort.
Identifikationsfiguren bei Facebook
Diese Hochwasserkrise ist auch eine Medienkrise. Menschen gerade in den Flutgebieten informierten sich über ihr Handy und besonders über Facebook-Gruppen. Die Livestreams von Lohnunternehmer Markus Wipperfürth, der schon am 15. Juli 2021 im Ahrtal ankam um zu helfen, erreichen mittlerweile regelmäßig 7.000 User, weil er von vor Ort berichtet. Seine Videos werden sogar von hunderttausenden gesehen und weiterverbreitet. Seine Popularität ist mittlerweile so groß, dass er sogar das Spendenverhalten lenkt. Auf dem von ihm propagierten Konto des Kreis Ahrweiler für die „Aktion Nachbar in Not“ gehen mehr Spenden ein als beim Deutschen Roten Kreuz. Aktuell über 30 Millionen Euro. Auch weil er dort versprechen kann, dass 100 Prozent der Spenden bei den Betroffenen ankommen. Dass die Verwaltungskosten dann vom Kreis Ahrweiler und damit von den flutbetroffenen Steuerzahlern selbst getragen werden müssen, ist natürlich kein Thema. Auffällig ist nur, wie stark Facebook hier auch die klassischen Medien in der Krisenkommunikation aussticht. Kein Wunder: Zeitungen wurden wochenlang nicht ins Ahrtal geliefert, und der Fernseher war weggeschwommen.
Und noch ein Phänomen gab es dieses Jahr massiv, was die Arbeit der Helfer erschwerte: Querdenker, Trolle und Trittbrettfahrer. Hier wurden fleißig Fake-News produziert, immer mit dem Versuch, staatliche aber auch die Arbeit der Hilfsorganisationen zu torpedieren. Auch das Thema Spenden litt darunter. Insbesondere als die Katastrophenhilfe in Haiti und Afghanistan anrollen musste. Schnell wurde kolportiert, dass die Deutschen im Ausland mehr helfen würden als im Inland. Hinter einigen Meldungen standen sogar Fake-Accounts. Womit davon auszugehen ist, dass versucht wurde, den Staat durch gezielte Falschmeldungen zu destabilisieren. In den Facebook-Hilfegruppen fand diese Propaganda allerdings kaum ein Echo. Im Gegenteil: Es gab klares Kontra.
Spendenkoordination mangelhaft
Spendengelder sind erst dann gut, wenn sie schnell ans Ziel kommen. Das hätte aus den Hochwasserkatastrophen von Sachsen und Bayern 2002 und 2013 gelernt werden müssen. Doch es hakt. Spendengelder von Hilfsorganisationen kamen als Soforthilfe in einigen Orten mit 1.500 bis 2.000 Euro, in anderen nur mit Summen von 250-350 Euro an. Zum Vergleich: Der Kreis Ahrweiler hatte am 30. August 2021 rund 30,3 Millionen Euro auf dem Spendenkonto. Davon konnten er bereits rund 16,4 Millionen Euro an die vom Hochwasser Betroffenen auszahlen. Von den zu dem Zeitpunkt eingegangenen 15.100 Anträgen konnten mehr als 92 Prozent abschließend bearbeitet werden. Das DRK Sachsen hatte für diese Fälle schon 2002 die Software PHOENIX entwickelt. So sollen gerecht Hilfsmittel ausgezahlt werden, indem Hilfsorganisationen und öffentlichen Verwaltungen die Spendenanträge schnell abgleichen können. Auch 2013 war die Software in Bayern und Sachsen im Einsatz. Doch Rheinland Pfalz und auch NRW stimmten erst Anfang August der Nutzung dieses Spendenmanagement-Systems zu. Hier darf schon gefragt werden, wieso PHOENIX noch nicht Teil der normalen Katastrophenvorsorge in jedem Bundesland ist und schon mit der Soforthilfe an den Start gehen kann. Es hatte sich ja bewährt. Jetzt im September, anderthalb Monate nach der Flut, war es immer noch nicht in Betrieb! Zum Spenden gehört nun mal dazu, dass die Spenden auch ankommen. Insbesondere, wenn in den TV-Aufrufen immer wieder von „Geld für die Hochwasserbetroffenen“ die Rede war. Die Gefahr, gerade jetzt Spendervertrauen zu verspielen, ist groß.
Vereine brauchen Hilfe vor Ort
Hochwasserbetroffen sind auch sehr viele Vereine und Stiftungen vor Ort. Das Fundraiser-Magazin startete deshalb wieder seine Website flutspenden.de und identifiziert gemeinnützige Projekte, die dringend Hilfe benötigen, sich aber aktuell zuvorderst um ihre Familien und Unterkunftsmöglichkeiten kümmern müssen. Bewundernswert, dass trotzdem bereits Vereinshäuser, Sportanlagen, Schulen, Kitas, Museen, Stadtarchive und Einsatzzentralen von Ehrenamtlichen und Mitarbeitern vom Schlamm beräumt sind und getrocknet werden. Immer noch sind die Vereine von Soforthilfen ausgeschlossen. Auch das ist ein Punkt, der dringend geändert gehört. Organisationen wie Help.e.V. unterstützen als eine der wenigen Organisationen bereits Vereine beim Wiederaufbau und haben bis zu 30.000 Euro ausgezahlt. Weitere sollen aber folgen. Auch die Aktion Mensch hat bereits ein Hilfsprogramm gestartet. Wie die Diakonie Katastrophenhilfe mitteilt, sollen über einen Sonderfonds auch Hilfen finanziert werden, die nicht in die „Standardhilfen“ passen. Warum das Großspendenlager des DRK in Zülpich (NRW) nur an „kommunale Bedarfsträger“ Sachspenden von Unternehmen, darunter auch Baustoffe, abgibt, erschließt sich in dem Zusammenhang auch nicht. So kommen Spenden nur mit sehr viel Verzögerung (wenn überhaupt) bei betroffenen Vereinen an.
Als Fazit bleibt, das die Kommunikation der Organisationen viel stärker Teil der Katastrophenvorsorge werden muss. Personell braucht es hier mehr Power und auch digitales Ehrenamt auf Abruf. Auch das Fundraising ist mit solchen Spendenwellen enorm gefordert. Wie das geht, machen gerade freiwillige Helfer in Facebook-Gruppen vor, die sich aber oft von den Profis sehr alleingelassen fühlen. Einige haben auch ausgebrannt aufgegeben. Doch genau da besteht Handlungsbedarf für die Profis aus den Organisationen, dieses starke Engagement und diese wertvollen Erfahrungen künftig mit einzubinden. Und liest man den aktuellen Klimaschutzbericht, steht Deutschland die nächste Krise dieser Art bald bevor.
Matthias Daberstiel
Bildquellen
- HELP – Hilfe zur Selbsthilfe-in Heimerzheim: Help – Hilfe zur Selbsthilfe
- Ortsverein Odendorf Frankenstrasse bei Aufräumarbeiten: Ortsverein Odendorf
Spannend und kompakt. Danke.