Wie viel wird in Deutschland gespendet?
Drei Untersuchungen zum Spendenvolumen mit drei verschiedenen Ergebnissen: Das ist nichts Ungewöhnliches. Aber wenn sie um Milliarden abweichen, schon eher. Der Versuch einer Einordnung.
Ende letzten Jahres ließ der Spendenmonitor des Deutschen Fundraisingverbandes aufhorchen. Danach spenden über 50 Prozent der Deutschen. Ein Wert, der so noch in keiner Studie gemessen wurde, außer in den Jahren des Tsunamis 2005 und des Elbehochwassers 2002. Die Zahlen basieren jedoch auf einem anderen Erhebungsmodell. In einer Online-Befragung bezog man mit tiefergehenden Fragen auch Klein- und Kleinstspenden und bislang nicht bedachte Zuwendungen ein. Der Schluss der Studie ist, dass das Spendenpotenzial viel größer ist.
Nach den Ergebnissen des Spendemonitors spendeten im Jahr 2022 insgesamt 53,3 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Immerhin 22 Prozent der Deutschen sind sogar zusätzlich noch ehrenamtlich tätig. 42,2 Prozent haben nicht gespendet. Jan Borcherding, Studienleiter am Marktforschungsunternehmen Bonsai, sieht sogar noch mehr Chancen: „Ein knappes Viertel der Bevölkerung spendet zwar bisher nicht, kann sich das aber in Zukunft grundsätzlich wieder oder erstmals vorstellen.“ Liegt das Potenzial also noch deutlich höher? Denn rechnet man die Durchschnittsspende von 173 Euro pro Jahr hoch, kommt man auf rund 6,8 Milliarden Euro. Deutlich mehr als die „Bilanz des Helfens“ ermittelt.
Spendenrat sieht leichten Rückgang
Der deutsche Spendenrat und die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) stellten gerade ihre „Bilanz des Helfens!“ für das Jahr 2022 vor. Danach wurden 5,7 Milliarden Euro gespendet, was ungefähr 1,6 Prozent weniger war als 2021. Diese beiden Jahre sind durch zwei außergewöhnliche Spendenereignisse der humanitären Hilfe geprägt. Manuela Roßbach, geschäftsführender Vorstand der „Aktion Deutschland hilft e.V.“ berichtet: „Für unser Bündnis der Not- und Katastrophenhilfe wurde der größte Betrag 2021 in Höhe von 282 Millionen Euro für die Flutkatastrophe in Deutschland gespendet, in 2022 unterstützten Spenderinnen und Spender vor allem die Nothilfe Ukraine mit rund 250 Millionen Euro.“ Alle anderen Bereiche, außer dem Tierschutz, sanken in der Spendergunst. Offenbar wurde das Geld nach den Erkenntnissen der GfK also auch umverteilt.
Sorgen bereite auch der weitere Rückgang bei den Spenderinnen und Spendern erstmals spendeten weniger als 19 Millionen Deutsche, was 28 Prozent der Gesamtbevölkerung über 10 Jahre entspricht. Besonders krass ist der Rückgang in der Altersgruppe der 40- bis 49- Jährigen. Während diese Altersgruppe im Jahr 2019 noch 16 Prozent zum Gesamtvolumen beisteuerte, waren es im abgelaufenen Jahr nur noch neun Prozent aller Spendeneinnahmen. Auch ihre jährliche Gesamtspende sank von 320 Euro pro Person im Jahr 2019 auf nun nur noch 234 Euro pro Person im vergangenen Jahr. Dieser Eindruck verstärkt sich vor der Feststellung, dass alle anderen Altersgruppen im Vergleich zu 2019 ihren jährlichen Spendenbeitrag teilweise deutlich erhöht haben. Der Jahrgang gehört zu einem großen Teil zur Generation X, die in den 80er Jahren groß wurde. Bianca Cocoran von der GfK begründete in der Pressekonferenz des Spendenrates die fehlende Spendenbereitschaft mit den höheren finanziellen Aufwendungen, die in dieser Gruppe mit Familie und Haushalt verbunden sind. Dadurch agiere diese Gruppe zurückhaltender.
Transparenz hilft, aber nicht um jeden Preis
Glaubt man dem Deutschen Fundraisingverband, liegt der Schlüssel in der ehrlichen Bitte: „Die Zivilgesellschaft braucht ein starkes, transparentes Fundraising, um Menschen immer wieder oder erstmals zum Spenden und Engagement zu motivieren. Nur so kann die Zivilgesellschaft durch eine nachhaltige und unabhängige finanzielle Basis ihr volles Potenzial entfalten“, so die Geschäftsführerin des Verbandes Larissa Probst. Für Tom Neukirchen, Gründer der Fundraising-Beratung Fundgiver Social Marketing GmbH in Hamburg, ist die Grenze der Transparenz aber auch oft schon erreicht: „Viele Bürgerinnen und Bürger lassen sich verunsichern und erwarten von dem kleinen Nachbarschaftsverein aufwendige Zertifizierungen. Dabei helfen einfache Schritte, wie der Blick auf die Homepage mit Jahresbericht oder ein kurzer Anruf, um einen Eindruck von der Organisation zu bekommen. Nicht spenden ist der größte Fehler.“ Dem sei an dieser Stelle noch hinzugefügt, dass sich der Fundraisingverband auch in der „Initiative transparente Zivilgesellschaft“ von Transparency International engagiert, wo ein einfaches Transparenz-Siegel zu erhalten ist.
12,9 Milliarden privates Spendenvolumen
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat auf der Basis seines sozioökonomischen Panels 2022 für das Jahr 2021 sogar einen Wert von tatsächlich 12,9 Milliarden Euro an Geldspenden ermittelt. Im Gegensatz zu den bereits zitierten Untersuchungen gehen in diese Studie nämlich auch Großspenden mit ein. Beim Deutschen Spendenrat werden beispielsweise nur Spenden bis 2.500 Euro berücksichtigt. Unter Einbeziehung der Hochvermögenden zeigt sich in der Studie des DIW, dass die einkommensstärksten zehn Prozent der Haushalte 37 Prozent des gesamten Spendenaufkommens aufbringen. Relativ zum verfügbaren Einkommen spenden einkommensschwache Haushalte aber deutlich mehr als einkommensstarke.
Studienleiter Jürgen Schupp fordert deshalb ein Umdenken in der Steuerpolitik: „Obwohl die ärmeren Haushalte in Deutschland einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens spenden als die einkommensstärksten Haushalte, werden sie steuerlich benachteiligt. Ein einheitlicher Abzug von der Steuerschuld könnte dieser Ungleichbehandlung entgegenwirken.“ Wie wir aus der GFK-Studie aber wissen, ist die Spendenbescheinigung aber nur für 0,5 Prozent der auslösende Faktor für eine Spende. Hier spielen Vertrauen in bekannte Organisationen, denen man schon länger regelmäßig spendet, der Spendenaufruf oder das Projekt eine viel größere Rolle für eine positive Entscheidung.
Potenzial für mehr Spenden ist also in Deutschland vorhanden, auch, wenn es unterschiedlich gemessen wird.
Bildquellen
- Spendenhöhe: Deutscher Fundraisingverband, Spendenmonitor 2022
- Anzahl der Spendenden: Bilanz des Helfens 2023, Deutscher Spendenrat, GfK
- Das Spendenvolumen: Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) 2019-2021
- Lupe Puzzle Geld: Feng-Yu/Fotolia.com
Danke fürs Recherchieren.
Das mit der steuerlichen Ungleichbehandlung bei Einkommensschwächeren ist ein guter Punkt. Aber auch nur zum Teil richtig nach meiner Erfahrung und vielleicht auch nicht anders lösbar. Wenn ich so viel spende, dass ich durch die Progression unter das Einkommensminimum rutsche, bekomme ich alle Steuern wieder, die ich bezahlt habe. Das ist schön. Trotzdem schade, dass in dem Moment der Steuervorteil aufhört bei allen Spenden, die ich danach noch tätige.
Gut, dass der Steuervorteil nur ein positiver Nebeneffekt ist und nicht der Auslöser für Spenden.