Homeoffice in NGOs?

Diese Frage beherrscht aktuell wieder die Diskussion bei vielen Organisationen. Durch 3G am Arbeitsplatz und die von RKI-Präsident Lothar Wiehler flehentlich erbetenen Kontaktreduzierungen gewinnt das Thema nochmal an Relevanz. Aber die Frage ist nicht ob, sondern wie. Findet zumindest unser Gastautor Klaus-Dieter Boll. Entscheidend ist für ihn die Vertrauensbasis.

Nur acht Prozent der Angestellten würden am liebsten ständig im Büro arbeiten. Jeder zweite Mitarbeitende würde kündigen oder weniger motiviert arbeiten, wenn er seinen Arbeitsplatz nicht flexibel wählen könnte. Diese mich verblüffenden Ergebnisse stammen aus der HR-Studie 2021 der Unternehmensberatung Tivian. Ich denke nicht, dass diese Ergebnisse 1:1 auf die NGO-Szene übertragbar sind. Ich glaube, in unserem Bereich ist die Identifikation der Menschen, die für die Organisation mit ihren Satzungszielen arbeiten, sogar höher als in vielen Wirtschaftsunternehmen mit ihren Produkten.

Homeoffice wird bleiben!

Dennoch: Die Ergebnisse geben mir zu denken. Und uns allen ist vermutlich klar: Homeoffice wird bleiben! Zu groß sind die Vorteile auf der persönlichen Ebene: Laut HR-Studie haben es 63 Prozent der Befragten genossen, von Zuhause zu arbeiten. Die Gründe waren allen voran „nicht mehr pendeln zu müssen“(76 %), „die bessere Work-Life-Balance“ (57 %) – wobei ich hier eher von höherer Lebensqualität sprechen würde, der Begriff Work-Life tut gerade so, als würden wir bei der Arbeit nicht leben – und an dritter Stelle „Geld gespart, weniger Ausgaben“ (56 %). Und was das Thema Produktivität betrifft: 92 Prozent sagen, sie habe sich verbessert oder sei gleich geblieben.

Auf der anderen Seite gibt es jede Menge Dinge, die Mitarbeitende vermissen, wenn sie nicht ins Office können, laut HR-Studie insbesondere die zwischenmenschlichen Interaktionen: „Menschen persönlich treffen (55 %), „geselliges Beisammensein im Büro“ (41 %), „weniger Video-Anrufe“ (40 %).

Fragen Sie Ihre Leute doch selbst!

Aber, im Grunde können Sie diese Ergebnisse einfach vergessen. Fragen Sie Ihre Angestellten doch selbst, wie es Ihnen mit Homeoffice & Co. gerade geht. Was schätzen sie, was vermissen sie? Wo profitieren sie, wo leiden sie? Das ist entscheidend für die persönliche Situation Ihrer Leute und wie es sich ganz konkret in Ihren Teams auswirkt und damit in Ihrer Organisation, für Mitarbeitende wie Führungskräfte.

Es geht also um zufriedene, gesunde, glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die Potenzialentfaltung aller im Team, in der ganzen Organisation – und es geht um das, was alle hoffentlich verbindet, um eine effektivere Umsetzung der Satzungsziele Ihrer NGO. Oder etwa nicht?

Können Sie den gemeinsamen roten Faden halten?

Also mehr Homeoffice oder mehr in Präsenz (solange die Corona-Maßnahmen uns die Wahl lassen)?

In einem Team, das ich kenne, würden viele Mitarbeitende im Service-Bereich am liebsten mehrheitlich nur noch von Zuhause arbeiten, weil sie dort deutlich ungestörter telefonieren könnten. Die Fragen für mich sind dann: Was ist unser gemeinsamer roter Faden und wie halten wir diesen? Wie sichern wir die Qualität der Arbeit und die Erreichung der Ziele etc.? Finden Sie gemeinsam heraus, ob und wie es möglich ist!

Meißeln Sie nicht zu viel in Stein!

In der Organisationsentwicklung ist ein für mich wesentlicher Leitsatz: Die Menschen, die von den Entscheidungen betroffen sind, die sie umsetzen müssen – sollten an der Ideenfindung und den Entscheidungen beteiligt sein. Damit sorgen Sie dafür, dass die besten Ideen auf den Tisch kommen, dass Ihre Leute möglichst hinter den getroffenen Entscheidungen stehen und Verantwortung übernehmen. Dann geht es nur noch ums Ausprobieren, ums Scheitern, ums Lernen auf dem Weg zur besten Lösung. Meißeln Sie also anfangs nicht zu viel in Stein! Es geht darum, einmal mehr Aufzustehen als Hinzufallen.

Wie angstfrei ist Ihr Team – ob im Homeoffice oder Präsenz?

Die Voraussetzung hierfür, dass solche Gruppenprozesse gut laufen, ist Vertrauen. Deshalb: Gibt es bereits diese Vertrauensbasis, dass Sie so mit Ihren Mitarbeitenden offen ins Gespräch gehen können oder was dürfen Sie vorher tun, um eine angstfreie Atmosphäre erst zu schaffen, eine Atmosphäre, in dem sich möglichst alle „psychologisch sicher“ fühlen, so die Fachterminologie für Angstfreiheit, dass alle es wagen, ihre guten oder verrückten Ideen zu äußern, genauso, wie sie es wagen, wertschätzend Kritik zu üben.

Und vergessen Sie nie die Beziehungsebene

Dieses Vertrauen, diese angstfreie Atmosphäre gilt es in jedem guten Team weiterzuentwickeln – unabhängig davon, wie die Aufteilung von Homeoffice und Präsenz sein mag. Wichtiger ist es, jeweils die richtigen Fragen zu stellen, wie etwa:

  • Kommunikation: Wie bleiben wir in Kontakt auf der Beziehungsebene? Diese entscheidet, wie Sie auf der Sachebene miteinander ins Gespräch gehen – und sorgen dann auf der Sachebene dafür, dass die betreffenden Informationen die richtigen Leute erreichen.
  • Koordination: Wie koordinieren wir unsere gemeinsame Arbeit, welche Tools brauchen wir dafür?
  • Kollaboration: Wie arbeiten wir zusammen und sorgen für Verbindlichkeit, um unsere Ziele zu erreichen?

Dann gilt es lediglich noch, die jeweiligen Besonderheiten zu beobachten. Im Büro konnten wir hier jahrelang Erfahrungen sammeln. Für den Homeoffice-Bereich geht es hier sicher um einen guten gesundheitserhaltenden Arbeitsplatz und gute Technik wie Headset und Kamera. Und wenn Sie doch einmal nicht weiterwissen, fragen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen – gemeinsam finden Sie gute Lösungen!

Der griechische Philosoph Epiktet (um 50 – 138 n. Chr.) meinte: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen [unser Mindset] von den Dingen.“ Insofern: Nutzen Sie das Beste aus beiden Welten und kombinieren Sie es! Viel Erfolg dabei!

Klaus-Dieter Broll

Der Autor dieses Textes, Klaus-Dieter Boll aus Tübingen, ist seit 1993 im Fundraising, seit 1997 selbständiger Fundrasingberater, seit 2010 Coaching von Führungskräften und Mitarbeitenden, Teamentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen, Konflikt- und Workshopmoderation. Er ist Dipl.-Betriebswirt (FH), Systemischer Coach (DGfC), Systemische Mediator (SIT Tübingen, Kompass Reutlingen).
www.zeit-gut.info
www.social-profit.info

Bildquellen

  • Broll-Autor: privat
  • Home Office mit Katze: agcreativelab/AdobeStock
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