„Mitgliedschaft ist eine Küchentisch-Entscheidung“

Viele Organisationen in Deutschland sind nicht groß, sondern arbeiten eher im regionalen Fundraising. So auch der Verein Ökolöwe Leipzig, der sich unter anderem für mehr Stadtgrün und urbanen Naturschutz einsetzt. Matthias Daberstiel sprach mit dem Geschäftsführer und Fundraiser Nico Singer über Mitgliedschaft, Wachstum, Pflichtstunden und Ökofete.

NGO-Dialog: Sie sind gleichzeitig Geschäftsführer und Fundraiser für den Verein Ökolöwe in Leipzig. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil?

Nico Singer: Absoluter Vorteil. Alles in einer Hand! Es ist natürlich ein Glück, wenn man mehrere Ausbildungen und Kompetenzen auf einer Position verbinden kann und wenn man in einer Organisation arbeiten darf, die sich auch konsequent am Fundraising ausrichtet. So sind Entscheidungen oftmals einfacher zu treffen, und wir kommen schneller voran. Und wir Ökolöwen haben uns zu einem sehr guten Team entwickelt und verbinden inhaltliche Arbeit gut mit Fundraising-Aktivitäten. Das war aber nicht immer so. Als ich 2008 anfing, war die personelle und finanzielle Substanz sehr dünn und das Fundraising wenig strukturiert. Die Aussichten waren auch eher düster. Deshalb stand für mich auch die Frage, wie willst Du mit dem Verein gestalten, wenn Du keine festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hast? Nur Beschäftigungsförderung und unkoordiniertes Ehrenamt, das war eine Grundlage auf der ich einen professionellen Umwelt- und Naturschutz-Verein nicht sehen wollte.

Fundraising braucht ein gutes Team

NGO-Dialog: Wo haben Sie angesetzt?

Nico Singer: Ganz klar auch im Fundraising. 2015 habe ich den Fundraising-Manager an der Fundraising-Akademie angefangen und war schon nach der ersten Kurswoche begeistert, aber auch geplättet. Ich hatte mir vorher schon viel selbst angeeignet und auch einiges umgesetzt, hatte auch erste Erfolge, habe dort aber schnell gelernt, was eigentlich für ein professionelles Fundraising notwendig ist. Insbesondere welche Strukturen es braucht.


NGO-Dialog: Was haben Sie daraufhin verändert?

Nico Singer: Ich ging schon nach dieser ersten Woche zum Vorstand und sagte: „Wenn wir ernsthaft etwas bewegen wollen, und meine Ausbildung auch finanziell dem Verein weiterbringen soll, brauche ich eine weitere Fundraiserin oder einen Fundraiser!“ Ich war sehr froh, dass der Vorstand eine Personalstelle über zwei Jahre bewilligte. Und dann war es natürlich ein Glücksfall, dass ich meine jetzige Fundraiserin Manuela Lißina-Krause gleich bei der Akademie kennenlernte, die seitdem die Stelle besetzt und wir ein sehr gutes Team geworden sind.


NGO-Dialog: Wie haben Sie das finanziert?

Nico Singer: Wir hatten zu dem Zeitpunkt als Verein zumindest ein paar Rücklagen, und ich konnte den Vorstand überzeugen, dass wir das für die Stelle einsetzen, um nach zwei Jahren zu schauen, welche Früchte es trägt und dann im dritten Jahr in die „Gewinnzone“ zu kommen. Und das ist aufgegangen.

Mitgliedschaft muss gut kommuniziert werden


NGO-Dialog: Sie sind besonders in der Mitgliedergewinnung sehr erfolgreich.

Nico Singer: Angefangen habe ich mit 140 Mitgliedern im Verein. Wenn ich mal die nichtzahlenden Mitglieder raus lasse. In diesem Jahr haben wir das auf fast 2.000 Mitglieder gesteigert. Das ist für einen Verein, der auch politisch aktiv ist, nicht ganz unwichtig. Aus Fundraiser-Sicht hat sich damit natürlich auch die Planbarkeit der Einnahmen erhöht. Wir haben auch neue Produkte und Beitragskategorien eingeführt und so auch mehr Anreize geschaffen, mehr Geld zu geben.


NGO-Dialog: Mitgliedschaft ist in den östlichen Bundesländern ja ein schwieriges Thema. Viele Ostdeutsche haben das als Zwangsmitgliedschaft in Erinnerung. Wie gehen Sie damit um?

Nico Singer: Wir haben sehr viel in den letzten elf Jahren gelernt. Wir haben mehrere Sachen gemacht. Erstens muss man eine Mitgliedschaft attraktiv gestalten. Der zweite Punkt ist eine hohe Transparenz. Wir haben sehr viel erläutert, warum eine Mitgliedschaft wichtig ist und möglichst keinen Druck aufgebaut. Wir haben auch festgestellt, dass es wichtig ist, den Menschen Ruhe für die Entscheidung zu geben. Denn für die Ostdeutschen ist das immer noch die „Küchentisch-Entscheidung“. Zu Hause, in Ruhe, egal, ob online am Tablet oder mit Papierformular, aber nicht in der Öffentlichkeit. Vielleicht liegt das aber auch daran das wir ein aktiver Umweltverein sind. Da ist man zwar Mitglied, aber man behält es für sich.


NGO-Dialog: Und die DDR-Sozialisation?

Nico Singer: Spielte früher schon eine große Rolle, und das haben wir sehr oft als Feedback erhalten. Zu Zeiten der DDR musste man in systemrelevanten Organisationen Mitglied sein. Es ist auch nicht zu unterschätzen, dass es über 40 Jahre eine Unterbrechung der Spendenkultur gab. Ein weiterer Ablehnungsgrund war die weitverbreitete Annahme, dass man als Mitglied mitarbeiten muss und dafür keine Zeit hat. Da konnten wir aber kommunikativ aufklären, denn das erwarten wir natürlich keinesfalls. Aber wir mussten schon öfter betonen, dass es bei uns keine „Pflichtstunden“ gibt. Wir merken aber auch gerade einen Wandel. Bei jüngeren Leuten kommt das Thema Mitgliedschaft sehr unbelastet wieder. Es ist heute durchaus wieder Zeitgeist, Mitglied zu sein. Dies ist eine tolle Entwicklung, wenn Menschen als Mitglied einen Verein unterstützen wollen.

Eine regelmäßige Spende ist flexibler und ohne Pflichten


NGO-Dialog: Aber Mitglied wird man dennoch nicht so schnell?

Nico Singer: Da haben wir der Mitgliedschaft eine ergänzende Schwester zur Seite gestellt, die Förderspende. Das ist eine Dauerspende per Lastschrift, wo der Begriff Mitgliedschaft keine Rolle spielt. Diese Spende ist auch sehr flexibel, kann jederzeit in Höhe und Rhythmus angepasst werden, man kann ein bestimmtes Thema oder einen Bereich fördern, und es gibt keine Pflichten. Das ist bisher ziemlich gut angekommen. Hier sehen wir eine deutlich höhere Dynamik als bei den Mitgliedschaften.


NGO-Dialog: Wie tief sollte denn eine Verbindung zu einer Person sein, bevor man sie wegen einer Mitgliedschaft anspricht?

Nico Singer: Die Person muss den Verein kennen und auch persönlich einschätzen können, wie wir als Ökolöwe agieren, wofür wir stehen und wer beim Ökolöwe arbeitet. Wir bauen dabei auf Bilder von uns als Aktive. Der Ökolöwe soll dadurch ein Gesicht bekommen. Mit einer Mitgliedschaft unterstützt du den Verein und auch die Menschen, die sich Tag für Tag für deine wichtige Sache einsetzen. Das wird honoriert. Wir kommunizieren zudem sehr transparent und informativ. Deshalb haben unsere Spendenbriefe einen sehr hohen Anteil an Erklärung, um der angesprochenen Person eine gute Entscheidungsgrundlage zu geben.

Eine Mitgliedschaft dauert bei und deutlich länger als sieben Jahre


NGO-Dialog: Wie lange bleiben Ihnen Mitglieder erhalten?

Nico Singer: Also es schwirrt ja immer mal die Kennzahl von sieben Jahren durchschnittlicher Haltefrist durch die Fundraising-Branche. Solche Kennzahlen nehmen wir als Grundlage, und wir liegen deutlich drüber. Wir sind da gut in der Bindung. Ich kenne unsere Mitglieder zwar nicht mehr alle persönlich, aber wir sind ständig im Dialog, und unser Thema ist natürlich gerade sehr aktuell. Wenn Mitglieder beim Ökolöwen ihre Mitgliedschaft beenden, dann meist, weil sie wegziehen. Pro Jahr sind das aber nur 20 bis 30 Menschen. Das stimmt uns ganz froh, denn gerade bei unserem organischen Wachstum ist die geringe Abbruchquote sehr wichtig.


NGO-Dialog: Gegen die Kündigung von Mitgliedern wegen Umzugs kann man als regionaler Verein wenig tun. Hilft die regionale Nähe auch?

Nico Singer: Ja und nein. Wir sind ein Leipziger Verein, der unabhängig von großen Verbänden agiert. Das macht uns sehr authentisch für die Leipziger. Wir Ökolöwen in Leipzig, für Leipzig. Wir haben leider nicht ganz den hohen Bekanntheitsgrad der großen bundes- oder weltweit bekannten Umweltorganisationen. Da müssen wir viel mehr unternehmen, um selbst in Leipzig bekannter zu werden. Wir können auch nicht auf Ressourcen von Landes- und Bundeverbänden zurückgreifen, sondern müssen alles selber auf die Beine stellen. So können wir auf lokale Ereignisse und Themen sehr schnell reagieren aber manches dauert deshalb eben auch länger. Oder wir können uns nicht in allen Themenbereichen engagieren, weil uns die Ressourcen fehlen. Es hat also Vor- und Nachteile.

Politik als Spendenthema

NGO-Dialog: Wie arbeitet der Ökolöwe?

Nico Singer: Wir sind in Leipzig zwar nicht der größte Umweltverein von den Mitgliederzahlen her, aber der größte hinsichtlich des Themen- und Projektportfolios. Wir betreiben eine Umweltbibliothek, die Klimaschutzkampagne „Stadtradeln“ und organisieren mit der Ökofete Mitteldeutschlands größtes Umweltfest mit 20.000 Besuchern. Außerdem haben wir einen erfolgreichen politischen Bereich, der sich beispielsweise um die Mobilitätswende und Umweltschutz in der Stadt kümmert. Da haben wir etwas wirklich Großartiges erreicht, denn der Bereich ist mittlerweile komplett durch Spenden und Beiträge finanziert. So sind wir politisch unabhängig und finanzieren dreieinhalb Hauptamtliche.


NGO-Dialog: Aber ist Politik nicht schwierig als Spendenthema?

Nico Singer: Das schon, aber nicht, wenn man es gut erklärt. Wenn ich erläutere, warum die politische Arbeit notwendig ist und dass wir dafür auch Mittel brauchen, um Personal zu bezahlen und so kompetente Mitarbeitende an den Verein zu binden, die dann jeden Tag dafür arbeiten, damit es mit dem Umwelt- und Klimaschutz vorangeht, dann wird das auch honoriert. Dann spenden Menschen auch für Personalkosten. Es muss nicht immer das süße schöne Projekt sein. Wir haben sogar direkt damit geworben, dass wir noch 250 Mitglieder für eine zusätzliche Personalstelle brauchen. Beispielsweise für das Projekt „Mehr Grün in Leipzig“ und so eine Personalstelle gefundraist.

Wachstum ist nicht alles!

NGO-Dialog: Und so sind Sie gewachsen. Wird es so weitergehen?

Nico Singer: Wir hoffen, dass es sich weiterhin gut entwickelt, und wir hätten nichts gegen einen sprunghaften Anstieg bei den Mitgliederzahlen. Aber man sollte die permanente Wachstumslogik im Auge behalten. Wenn wir dieser ständig folgen, für mehr Projekte, mehr Personal, mehr Bedarfe – bedeuten immer mehr Spenden und Mitglieder – verlieren wir da nicht aus den Augen, ob das ständige Wachsen wirklich sinnvoll für uns ist? Gerade als lokaler Umweltschutzverein müssen wir uns auch die Frage stellen, wann ist es genug, wann reicht es für unseren Verein aus?


NGO-Dialog: Aber es braucht doch auch Impulse für weitere Spenden?

Nico Singer: Natürlich. Wir stellen auch manchmal eine gewisse Spendenmüdigkeit fest. Manchmal werden wir auch für häufige Spendenbriefe kritisiert. Wir machen das ja auch nicht, weil wir Lust darauf haben, sondern weil es nötig ist, weil wir eben als Verein noch wachsen und für gute Projekte Mittel benötigen. Aber es wäre auch mal schön zu sagen: „Hey, wir haben es geschafft eine Größe zu erreichen, mit der wir eine Zeit lang wirklich gut arbeiten können.“ Das wäre doch auch für Fundraiser eine schöne neue Erfahrung!


NGO-Dialog: Apropos Erfahrung: Was wünschen Sie als Alumnus der Fundraising Akademie zum 20-jährigen Bestehen?

Nico Singer: Erst mal herzlichen Glückwunsch zu sensationellen, super erfolgreichen 20 Jahren! Man merkt, dass sich das Fundraising sehr stark professionalisiert, weil die Akademie eine Ausbildung anbietet, die das stark befördert. Vor 20 Jahren war das Pionierarbeit. Es hat für viele Organisationen, auch für mich und uns, die Grundlage für ein professionelles Fundraising gelegt. Ich finde, man kann schon sagen, dass durch die Akademie Organisationen in die Lage versetzt werden, Gutes zu tun, weil sie Menschen ausbildet, die dann dafür sorgen, dass auch die notwendigen Mittel dafür bereit stehen. Da wünsche ich weiterhin viel Kraft und hoffe, dass wir weiter einen so starken Weiterbildungspartner haben. Denn wir Fundraiserinnen und Fundraiser müssen uns in unserem Berufsfeld ständig weiterentwickeln, damit wir erfolgreich bleiben. Weiterhin alles Gute und viel Erfolg der Fundraising Akademie!

Bildquellen

  • Porträt Nico Singer: privat
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