AfD contra Zivilgesellschaft und Kultur

Die Europawahlergebnisse in den neuen Bundeländern lassen für die anstehenden Landtagswahlen ähnliche Ergebnisse erwarten. Die AfD könnte zur stärksten Kraft im Osten werden. Doch was bedeutet das für Vereine und zivilgesellschaftlich aktive Initiativen vor Ort?

Von Matthias Daberstiel

Auf der 200. Pegida-Demonstration am 17. Februar 2020 in Dresden sprach Björn Höcke vor 4.000 Anhängern und 2.000 Gegendemonstranten vor der Dresdner Frauenkirche und kündigte für die Machtübernahme an: „Deswegen werden wir diese sogenannte Zivilgesellschaft, die aus Steuergeldmillionen finanziert wird, dann leider trockenlegen müssen“. Diese Drohung droht nun eventuell Wirklichkeit zu werden, und sie hat sich in vielen kleinen Schritten bereits angekündigt. Und sie trifft nicht nur zivilgesellschaftliche Initiativen und soziokulturelle Zentren, die sich von der rechten Jugendszene abgrenzen, sondern auch die Hochkultur.

In einer sehr detailreichen Chronik hat die Sendung „Titel, Thesen, Temperamente“ der ARD und der Süddeutschen Zeitung das Vorgehen der AfD gegen Kultureinrichtungen zwischen 2017 und 2019 dokumentiert. Da werden Intendanten unter Druck gesetzt, sich nicht politisch zu äußern. Missliebige Stücke, die der Ideologie der AfD widersprechen, werden mit juristischen Mitteln bedroht oder es werden Anträge zur Mittelkürzung im Stadthaushalt gestellt: So geschehen im Berliner Abgeordnetenhaus, wo die AfD-Fraktion beantragte, die Zuwendungen für das Maxim Gorki Theater zu kürzen. Begründung: „Die zur Verfügung gestellten Mittel und der Zuspruch zum Maxim Gorki Theater in der Berliner Bevölkerung stehen in einem Missverhältnis.“

Und jetzt? Die AfD steht aktuell vor allen anderen Parteien in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Wunsch „denen da oben“ einen mitzugeben, ist offenbar bei den Wählerinnen und Wählern größer, als die Angst eine rechtsextreme Partei zu wählen. Die Nazi-Keule verfängt nicht. Was es bedeutet, wenn die AfD an die Macht kommt, ist in den Kommunen bereits zu spüren. Marieluise Mühe von der Universität zu Köln hat die Strategie der AFD untersucht und kommt zum Schluss, dass diese systematisch auf Gegner der AfD-Politik versuchen Einfluss zu nehmen. Fünf Strategien macht sie aus: 1. Versuch, der Zivilgesellschaft beizutreten und dort Einfluss zu nehmen, 2. Druck über Finanzierung, 3. Nutzen oder Missbrauch parlamentarischer Instrumente, wie Anfragen oder Anträge, 4. Kampagnen der Diffamierung und 5. Schaffung von alternativen Angeboten, wie zum Beispiel der „Kältebus“ des AfD-Europa-Abgeordneten Guido Reil.

Einige Organisationen haben die Zeichen der Zeit erkannt und glauben wohl nicht mehr daran, dass die Fördertöpfe für sie weiterhin üppig gefüllt sind. So wie der Sächsische Flüchtlingsrat, der sich seit 1991 für die Rechte von Menschen auf der Flucht einsetzt. Diesen Einsatz wolle er „fernab von populistischer Stimmungsmache gegen Fliehende“ auch zukünftig leisten, teilte der Rat nach der Europawahl mit. Deshalb startete der Flüchtlingsrat in Sachsen zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni eine Spendenaktion. Ziel der Kampagne «100 plus x» sei es, bis zur Landtagswahl am 1. September mindestens 100 neue Dauerspender zu gewinnen.

Rechtsruck torpediert Integrationsprojekte

„Regelmäßige Spenden helfen dabei, langfristig finanziell unabhängiger von staatlicher Förderung zu sein“, teilte der Verein mit. Durch den Rechtsruck sei kommunale Unterstützung für Integrationsprojekte vielerorts immer unrealistischer und auch auf Landesebene blicke die Organisation mit Sorge auf die anstehenden Landtagswahlen. „Wir rechnen mit einem Kahlschlag in der Finanzierung von Integrationsarbeit“, hieß es weiter. Wenn nach den Wahlen massenweise Projekte sterben, werde Schutzsuchenden das Ankommen noch schwerer gemacht. Bei der Kampagne sollen mehrere Prominente mitwirken, die eine nachhaltige Unterstützung des Vereins sichern sollen.

Doch wie umgehen mit gewählten Vertretern der AfD? Einen Eindruck gab es gerade in Pirna, wo der frisch gewählte parteilose Bürgermeister Tim Lochner, der für die AfD angetreten war, vom Schuldirektor des Schillergymnasiums Anfang Juni zum Schulfest eingeladen wurde. Bezeichnenderweise ist das Gymnasium Teil des Netzwerks der Schulen ohne Rassismus und hat sogar einen zweisprachigen Bildungsgang für deutsche und tschechische Schülerinnen und Schüler. Dass Tim Lochner, der kurz nach Amtsantritt die Regenbogenfahne mit der Hakenkreuzflagge der Nazis verglich und damit ganz auf der Linie der AfD Sachsen liegt, die der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einschätzt, eingeladen werden sollte, verwunderte dann doch.

Annett Schlenkrich vom Elternrat der Schule sagte gegenüber dem Deutschlandfunk: „So was geht halt nicht. Wir haben auch queere Jugendliche an der Schule, was denken die, wenn er dann zum Schulfest auftaucht?“ Über 150 Schüler, Lehrerinnen und Eltern protestierten in einem offenen Brief. Doch zur Schule gehören über 800 Schüler und über 80 Lehrer. Schulleiter Stefan Raum wollte aber gerade mit der Einladung ein Zeichen setzen, indem er Lochner mit der Multikulturalität seiner Schule konfrontiert. Gleichzeitig war es ihm aber auch wichtig zu betonen, es hätte keine Bühne und kein Mikro für Lochner gegeben, der als Bürgermeister immerhin oberster Dienstherr der städtischen Schule ist. Was ist nun besser? Ignorieren oder konfrontieren? Auf dem Schulhof wurde dann eins deutlich: Die AFD ist keine Protestpartei mehr, denn neben Schülern, die Regenbogenfahnen hissten, gab es nach Augenzeugen auch Schüler die demonstrativ eine Deutschlandfahne schwangen.

Fakt ist, dass eine Zusammenarbeit mit solchen Funktionsträgerinnen und -trägern nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Sie sitzen in Kultur- und Bildungsausschüssen, Stadtparlamenten, sind Bürgermeister oder sogar Landrat und wer weiß, wo nach den Landtagswahlen noch. Ignorieren wird da fast unmöglich. Haltung zeigen, kann man trotzdem.

Bildquellen

  • Fahne: Michi S./Pixabay

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