Engagiert, aber kein Mitglied

Der ZiviZ-Survey 2023, der die Lage zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland untersucht, ist erschienen. Er zeigt einen Wandel des Ehrenamtes und fordert die Bereitschaft zu mehr Offenheit und Diversität. Ist Mitgliedschaft bald ein Auslaufmodell?

Der ZiviZ-Survey ist eine repräsentative Organisationsbefragung, die seit 2012 regelmäßig die organisierte Zivilgesellschaft befragt. Im Rahmen des ZiviZ-Survey 2023 haben von den 125.000 eingeladenen Organisationen 12.792 Organisationen an der Online-Befragung teilgenommen.

Freiwilligkeit dominiert

In Deutschland gab es im Jahr 2022 rund 657.000 zivilgesellschaftliche Organisationen. Die meisten dieser Organisationen werden ausschließlich vom Engagement freiwillig engagierter Bürgerinnen und Bürger getragen. Nur etwa ein Viertel der Organisationen hat überhaupt bezahlte Beschäftigte. Man ist also auf Mitglieder und ehrenamtlich Tätige angewiesen.

Allerdings gibt aktuell nur ein Viertel der Organisationen an, genügend Mitglieder zu haben. Lediglich 18 Prozent fällt es leicht, neue Mitglieder in der Altersgruppe unter 30 Jahren zu gewinnen. Hingegen gibt über die Hälfte der Organisationen an, dass es ihnen leichtfällt, Mitglieder dauerhaft an die Organisation zu binden. Bindung ist also nicht das Problem, sondern Neugewinnung. Inzwischen berichten weniger Organisationen als in früheren Erhebungswellen von Zuwächsen in den Mitgliederzahlen. Knapp die Hälfte der Organisationen (49 %) haben stabile Mitgliedschaften, 30 Prozent berichten von steigenden und 21 Prozent von sinkenden Mitgliederzahlen.

Engagement überschaubar

Freiwillig Engagierte sind für die meisten Organisationen deshalb die zentrale Ressource ihres Handelns. Darunter werden im ZiviZ-Survey Personen verstanden, die unentgeltlich und regelmäßig Aufgaben und Ämter in den Organisationen übernehmen. Knapp die Hälfte der Organisationen verfügt nur über bis zu zehn Engagierte, 23 Prozent haben zwischen 11 und 20 Engagierte, und knapp ein Drittel hat mehr als 20 Engagierte. Lediglich zwei Prozent der Organisationen haben über 100 Engagierte. Damit ruht die Arbeit in den meisten Organisationen auf wenigen Schultern.

Dass hier Gruppen für Engagement übersehen oder nicht angesprochen werden, legt der Bericht ebenfalls nah. So bilden zivilgesellschaftliche Organisationen die gesellschaftliche Vielfalt offenbar nicht ab. Weniger als die Hälfte hat junge Engagierte unter 30 Jahren in Leitungspositionen. Lediglich elf Prozent der Organisationen geben an, Engagierte mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen zu haben, nur 21 Prozent berichten von sozialer Diversität unter den Engagierten. „Organisationen müssen sich vermehrt neuen Gruppen öffnen. Dies ist essenziell für die Zukunftsfähigkeit der eigenen Organisation. Es ist aber auch wichtig für den Beitrag der Zivilgesellschaft zu gesellschaftlicher Integration und Teilhabe“, resümiert Peter Schubert, Projektleiter des ZiviZ-Survey.

Engagiert, aber kein Mitglied

Eine weitere Herausforderung für die Organisationen ist auch die zunehmende Entkoppelung des Engagements von einer formalen Mitgliedschaft. Im Jahr 2022 sagten 30 Prozent der Organisationen, dass es bei ihnen freiwillig Engagierte gibt, die keine Mitglieder der Organisation sind. Im Jahr 2012 waren es nur 21 Prozent. Zwar können diese Organisationen eine positive Entwicklung der Engagierten-Zahlen aufweisen, gleichzeitig fallen aber entsprechende Mitgliedsbeiträge weg. Die zunehmende Entkoppelung von Mitgliedschaft und Engagement ist Ausdruck der abnehmenden Bereitschaft in der Bevölkerung, sich an eine Organisation zu binden, stellt der Bericht fest. Die Experten fordern, niedrigschwellige Konzepte für neue Formen des Engagements zu entwickeln und alternative Finanzierungsquellen zu erschließen, um Einnahmeverluste durch fehlende Mitgliedsbeiträge auszugleichen. Denn aktuell sind für Vereine die Mitgliedsbeiträge mit einem durchschnittlichen Finanzierungsanteil von 46 Prozent die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle. Spenden kommen nur auf 19 Prozent. Gerade kleinere Organisationen sind darauf angewiesen.

Gesamteinnahmen Zusammensetzung

Mehr Staat gefordert

Wohl auch deshalb wird der Ruf nach dem Staat als Finanzierungspartner lauter. Denn gerade neugegründete Organisationen übernehmen immer häufiger Aufgaben, die vormals im Verantwortungsbereich des Staates lagen. „Zwar geben 54 Prozent der Organisationen an, ihre Arbeit selbstständig leisten und finanzieren zu wollen. Inzwischen sehen aber schon vier von zehn Organisationen den Staat in der Mitverantwortung für die Finanzierung der von ihrer Organisation geleisteten Arbeit. Im Jahr 2016 waren es noch drei von zehn. Dieser Wandel im Selbstverständnis stellt neue Anforderungen an die noch ausbaufähige Kooperation zwischen Staat und Zivilgesellschaft”, so Schubert.

Das ist insofern interessant, weil schon 38 Prozent der Organisationen öffentliche Fördermittel erhalten. Im Durchschnitt hat eine Organisation drei Einnahmequellen. Am häufigsten generieren Organisationen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen (85 %), gefolgt von Spenden (66 %) und selbsterwirtschafteten Mitteln (49 %).

Der komplette Bericht steht frei zur Verfügung unter www.ziviz.de/ziviz-survey und bildet eine der wenigen Benchmarks im gemeinnützigen Bereich.

Bildquellen

  • Gesamteinnahmen Zusammensetzung: ZiviZ-Survey 2023
  • Mitgliedschaft: pxhere.com
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