„Die Progressiven machen ganz viele Fehler“

Volker Gaßner war über zehn Jahre lang Leiter der Öffentlichkeitsarbeit und strategischen Kommunikation bei Greenpeace und ist Gründer der Campaigning Academy Berlin. Seit April letzten Jahres ist er Direktor der Tierschutzorganisation Vier Pfoten Deutschland. Matthias Daberstiel sprach mit ihm über Wahlkampf, Kampagne und Influencer*innen.

Was fasziniert Sie so am Thema Kampagne?

NGOs entwickeln Kampagnen und Strategien, um das Leben der Menschen und Tiere zu verbessern und die Umwelt zu schützen. Für mich sind Kampagnen daher eine wunderbare Art der strategischen Arbeit, der Kommunikation und der Botschaftsentwicklung. Ich bin vor allem im politischen Bereich unterwegs. Dabei entwickle ich smarte Ziele und Taktiken für wirksame Kampagnen – eine Gesetzesänderung zum Beispiel für den Schutz von Tieren. Ich starte eine Kampagne immer erst, wenn die Gespräche mit dem Kampagnengegner über Lösungsansätze nicht erfolgreich verlaufen. Dann wird dieser Streit in der Öffentlichkeit ausgetragen in Form einer lauten und möglichst weit sichtbaren Kampagne.

Heißt Streit auch Feindschaft?

Auf keinen Fall. Wir haben vielleicht ein gegnerisches Bild. Eine Firma möchte beispielsweise Geld einsparen, verwendet vielleicht etwas billigeren, gentechnisch veränderten Mais. Eine NGO ist der Meinung, dass das weder für Verbraucher noch für Tier und Umwelt gut ist. Und dann streiten wir. Und wenn wir nicht am Tisch sitzen und nicht verhandeln, dann machen wir das in der Öffentlichkeit.

Wir sehen das auch im aktuellen Bundestagswahlkampf. Die Parteien streiten über ihre Kernthemen und möchten dabei die Deutungshoheit erlangen. Das kannst du mit einer Kampagne sehr gut machen. Aber erfolgreiche Kampagnen sind nur die, die auch wirklich etwas verändern. Also einfach nur Botschaften senden und loskommunizieren reicht nicht.

Viele Leute sind scheinbar streitmüde. Es wird von Parteienstreit und Ampelstreit gesprochen. Verändert das auch was für Kampagnen, die man jetzt als NGO führt?

Es ist richtig zu überlegen: Wollen wir überhaupt streiten? Bei vielen Themen kommen wir aber um den Streit nicht herum. Die Frage ist eher: Wie? Wir beide könnten jetzt auch um ein Thema streiten, ohne dass wir uns anschreien würden, ohne dass wir es persönlich werden lassen. Und gerade das hat sich in der Politik so stark verändert. Wenn ein Söder einen Herrn Habeck beispielsweise wirklich persönlich treffen möchte und es ihm nicht um eine sachliche Frage geht. Mir geht es um den sachlichen Streit. Wie können wir um eine Position ringen? Das ist es.

Fehlt auch Kompromissbereitschaft?

Das ist der andere Punkt. Wenn wir uns über weit auseinander liegende Meinungen streiten, dann ist doch klar, dass eine Lösung in der Mitte liegen sollte und wir uns dort treffen. Ich glaube, auch die Wähler sehen ein wenig, dass man nicht mehr versucht, einen Kompromiss zu erzielen, sondern dass man maximale Positionen einnimmt, wo man sich nicht mehr treffen kann. Dabei leben wir in einer Zeit, wo wir uns das gar nicht mehr erlauben können. Wir haben so große Probleme. Eine Partei allein kann das gar nicht lösen. Wenn wir aber so streiten und gar nicht mehr debattieren, sondern Dinge ausschließen, ist das kein konstruktives Verhalten. Die Leute brauchen und wollen eine Lösung.

Klare Kante ist also die falsche Strategie gegen Politikverdrossenheit?

Die Leute sind nicht politikverdrossen. Ich denke, Kommunikation war nie politischer als heute. Aber sie haben keine Lust auf diesen Politikstil, der ausschließt, der irgendwie vereinzelt und nichts mehr zusammenbringt. Bei den Problemen im Land, warum geht man nicht den Weg und sagt: Wir machen das gemeinsam? Ich glaube, dass die Leute mittlerweile sehen, dass man gar nicht um den Bürger kämpft, sondern für seine Partei. Man denkt nicht an die Gesamtbevölkerung, sondern nur an seine Klientel. Und das, glaube ich, kommt nicht gut an.

Das Verhältnis der Parteien zu NGOs hat sich auch deutlich abgekühlt. Sind wir jetzt Gegner für die Politik?

Ich denke nicht, dass es Parteien gibt, die sagen, sie würden NGOs ganz verbieten. Das hoffe ich zumindest. Aber es sind einzelne Köpfe, die das denken. Und die werden immer lauter. Und das ist ein Problem. In der FDP zum Beispiel finden es einige nicht so gut, wenn wir als NGOs protestieren. Gleichzeitig gibt es sehr kluge Köpfe, beispielsweise Gerhart Baum von der FDP, der die Proteste für legitim hält, weil sie den Freiheitsgedanken einer Demokratie unterstreichen.

Doch woran liegt es, dass sich jemand wie Marcus Söder hinstellt und so tut, als würden NGOs den Kurs der Regierung bestimmen? Er nannte als Beispiel ausgerechnet Attac, die ja wegen zu viel politischer Arbeit ihre Gemeinnützigkeit verloren haben und Greenpeace.

Die Gemeinnützigkeit der Organisation ist ihr höchstes Gut. Es ist quasi ein Gütesiegel. Dort sind sie gleichzeitig auch verwundbar. Herr Söder meinte: „Die NGOs haben in Deutschland mehr Macht als mancher Politiker. Das dürfen wir nicht zulassen.“ Da steckt, meiner Meinung nach, ein falscher Gedanke dahinter. Denn das Recht auf Protest ist im Grundgesetz festgelegt, nur seine Protestformen nicht. Ich finde, kreativer Protest ist Teil einer aktiv gelebten Demokratie. Daher finde ich das Mindset Söders bedenklich, wenn er so über Demokratie denkt und spricht. Proteste sind ein wichtiger Teil von NGO-Kampagnen. Denn wenn wir sie ausschließen, verliert die Demokratie. Solche Bekundungen von Politikern, die normalerweise in der Mitte der Gesellschaft stehen sollten, nehmen zu und sind natürlich keine gute Entwicklung.

Gerade progressive Parteien, die für Veränderung stehen, tun sich schwer in der Kommunikation. Sind die einfach zu ehrlich?

Ja, sie sind zu ehrlich. Lösungen von Problemen klingen meist nicht gut, denn sie bedingen eine reale Veränderung, die mich persönlich im Alltag betrifft. Beim Thema Klimawandel ist eine Lösung: Weniger Auto fahren. Das ist vielleicht eine Wahrheit, die ich nicht hören möchte. Da höre ich doch lieber einer Partei zu, die sagt: Nee, ist alles nicht so schlimm, fahr weiter Auto, das kriegen wir anders in den Griff. Wir haben eine Technik, irgendwann, wo das ganze CO2 absorbiert wird. Das ist einfach bequemer zu glauben, auch wenn man eventuell weiß, dass es nicht stimmt. Zweiter Punkt ist, dass die linken Progressiven sich oft selbst zerlegen. Sie sind sich eigentlich nie einig.

Worauf müssen NGOs achten?

NGOs sind unbeliebt in der Politik, weil sie nach Lösungen suchen und diese bei der Politik einfordern. Die Politik hat für viele Punkte keine Lösung parat. Das Problem ist, das wir uns dann vielleicht auch zu stark radikalisieren, weil wir der Meinung sind, dass wir dann mehr gehört werden. Nach Festkleben auf der Straße kommen Farbeimer auf Gemälde. Wenn wir diesem Kreislauf folgen, werden die Leute sich abwenden und sagen: Das ist doch bescheuert.

Muten wir den Leuten also zu viel zu?

Ja, das ist oft sehr normativ. Wokeness ist ein Beispiel, das dann ein negatives Framing verpasst bekommt, nur weil eine bestimmte Anzahl von Leuten, sagt: Ich bin völlig intolerant. Ich gebe dir vor, wie du zu leben hast. Und das kommt aus dem linken Spektrum, und das ist vielen Leuten einfach zu viel. Das heißt, die Progressiven – und da beziehe ich mich mit ein – machen ganz viele Fehler. Wir wollen zu viel von den Leuten und wir wollen es zu schnell. Dann kommunizieren wir es meiner Meinung nach mit dem falschen Framing. Wir sagen, es gibt jetzt eine Veränderung und du bist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.

Aber was ist die Lösung?

Wir müssen nicht radikaler in den Aktionen werden, sondern smarter! Und diese müssen die Leute mehr mitnehmen, weil sie persönlich betroffen sind. Außerdem geht es auch darum, was wir als Non-Profit-Organisationen gemeinsam bewegen können. Wenn wir mehr Klimaschutz wollen, müssen wir uns abstimmen und dürfen uns nicht zerfasern oder selbst zerlegen.

Erreichen wir überhaupt noch die richtigen Zielgruppen?

Wir haben bei den NGOs einen Widerspruch, der sich nicht leicht lösen lässt. Auf der einen Seite sind da die Spenderinnen und Spender. Die kommen aus dem sozial ökologischen, liberal intellektuellen oder konservativem Milieu, verdienen gut, sind politisch gebildet. Diese Zielgruppen werden aber immer älter. Kommunizierst du aber die Aktivitäten so, dass sie über 50-Jährige gern lesen oder sehen, dann finden das unter 25-jährige lame und würden es ignorieren. Die jungen Zielgruppen sind für die Zukunft wichtig, aber der Fundraiser sagt: Na ja, aber von denen kriegen wir keine Spenden.

Wo sollen NGO ansetzen?

Wir müssen mindestens zwei, drei Zielgruppen separat bedienen. Dafür braucht man Ressourcen. Und ich stelle fest, dass nur wenige NGO tatsächlich gut darin sind. Wer ist denn bei TikTok wirklich erfolgreich? Ich habe das Gefühl, dass alle so ein bisschen aufgeben und diese Kanäle den Destruktiven und Rechten überlassen. Dazu kommt, dass viele Jugendliche gar nicht in links, rechts oder Mitte denken, sondern für sie unterhaltsamen Inhalt teilen. Dieser ist gut aufbereitet, ist zugespitzt, interessant und vielleicht provokativ. Ob das jetzt von links, rechts oder von oben/unten kommt, ist dieser Zielgruppe meist egal. Sie leiten es weiter, und damit bekommt die Sache Reichweite. Auch hier geht es um die richtige Art der Kommunikation.

Was müsste sich ändern?

Ich denke, dass Spenden mehr als Beteiligung gesehen werden müssen. Und so müssen wir die Menschen auch behandeln. Spenden machen NGOs unabhängig von Unternehmen und Politik und das ist gut. Spenden werden so ein richtiger demokratischen Faktor. Dann kann ich das doch viel mehr kommunizieren. Das macht man aber viel zu wenig und eher defensiv.

Beteiligung neu zu denken, heißt beispielsweise auch, Ehrenamtliche mal ein Video für die Organisation machen zu lassen. Oder habe ich 20-Jährige in meiner NGO angestellt, die Social Media für mich machen? Achtzig Prozent der Social Media Leute bei den NGOs sind über 35. Das ist jetzt keine Altersdiskriminierung, aber so kannst du die jüngere Zielgruppe vielleicht gar nicht mehr so richtig denken. Für solche Strategien sind aber oft kaum Ressourcen da. Dabei geht es hier um Zukunftsfähigkeit. Ich finde, wir haben nicht wirklich neue, inspirierende, gute Beteiligungsformen gefunden. Auch nicht beim Spenden. Da sind wir noch sehr konservativ unterwegs. Es wird zu wenig riskiert und probiert.

Brauchen wir Hilfe?

Ich glaube, was ganz erfolgreich läuft ist, nicht nur auf die eigenen Kanäle zu setzen, sondern auch auf fremden Kanälen zu kommunizieren. Wenn Du beispielsweise Influencer*innen gewinnst, die für deine Zielgruppe oder potenzielle neue Zielgruppen sprechen, haben die eine andere Glaubwürdigkeit. Wenn sie sagen: „Hey, das ist wirklich eine gute Organisation, dafür kannst du spenden,“ kann das sehr gut funktionieren.

Aber müssten nicht NGO mit ihrem Wertekanon es auch schaffen, selbst Influencer*innen zu sein?

Es wundert mich schon, dass wir es nicht sind. Aber mal ehrlich. Oft sieht das, was wir jüngeren Zielgruppen anbieten, doch sehr gewollt und künstlich aus. Das merken die Leute. Und deswegen werden diese Reels oder Videos auch nicht so oft geliked.

Was machen die Influencer besser in der Kommunikation?

Ich denke, sie sind sehr nah dran an den Bedürfnissen ihrer Zielgruppe. Sind ja selbst Teil der Zielgruppe. Influencer*innen machen das besser, weil sie sich den ganzen Tag mit Inhalten für ihre Follower beschäftigen und weil sie Teil der Zielgruppe sind. Und Influencer*innen sind oft wahnsinnig gut bezahlte Menschen, die sich auch innerhalb der Kommunikation mit ihrer Zielgruppe sehr, sehr gut auskennen. Sie sind Identifikationsfiguren. Ihre Follower orientieren sich an ihnen und ihrer Lebensweise – sie haben also wirklich Einfluss. Einige NGOs versuchen gerade, so ihre Glaubwürdigkeit bei neuen Zielgruppen aufzuladen. Und ich glaube, dass das auch erfolgreich ist.

Bildquellen

  • Volker Gassner: Fred Dott

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