Stolperstein Zweckbindung
Wenn ein Spendenaufruf zu viele Spenden erbringt, weckt das manchmal Begehrlichkeiten. So geschehen mit den Spenden für die in Zeitz am 7. Oktober 2024 verschwundenen Stolpersteine. Der Initiator der Sammlung will jetzt den Zweck der Spenden ändern.
Von Matthias Daberstiel, Fundraising-Magazin
Die Meldung schaffte es sogar bis in die Tageschau. In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober waren in Zeitz im Burgenlandkreis von Sachsen-Anhalt alle zehn Stolpersteine herausgerissen und verschwunden, die dort verlegt worden waren, um ermordeter Jüdinnen und Juden durch das Naziregime zu gedenken. Kolportiert wurde wegen des Datums der Tat, dass es einen Zusammenhang mit dem Überfall auf Israel durch die Hamas vor einem Jahr gab.
Schon einen Tag später verurteilte das Götz Ulrich, Landrat des Burgenlandkreises: „Diese Tat ist unverzeihlich und niemals zu entschuldigen. Wer dies tut, will auch den Holocaust aus unserer Erinnerungskultur herausreißen. Die Steine müssen sofort ersetzt werden. Hierzu werden finanzielle Mittel benötigt. Ich rufe daher auf, für neue Steine zu spenden.“
Im Spendenaufruf wurde auch der Zweck der Spenden klar geregelt: „Die eingehenden Spenden werden in Abstimmung mit der Stadt Zeitz und der Initiative Stolpersteine genutzt, um die Stolpersteine alsbald zu ersetzen. Nicht benötigte Spenden werden dem Simon-Rau-Zentrum in Weißenfels zur Verfügung gestellt, um die Erinnerungsarbeit an die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Burgenlandkreis zu unterstützen.“ Dafür richtete der Burgenlandkreis ein Extra-Spendenkonto ein.
Hohe Spendensumme
In der Landkreistagssitzung vom 21. Oktober 2024 berichtete Landrat Ulrich über das erfreuliche Zwischenergebnis der Spendensammlung. 1027 Menschen hatten zwischen fünf und 1.000 Euro gespendet, um die Steine zu ersetzen und den Spendenzweck zu erfüllen. Insgesamt kamen 50.208,63 Euro zusammen. Ein hoher Betrag, dessen Ziel nun vom Landrat allerdings zur Disposition gestellt wird. Wörtlich sagte er im Landtag laut Protokoll: „Von diesem großen Zuspruch ermutigt, werden wir uns in den kommenden Wochen Gedanken machen, wie wir das gespendete Geld einsetzen. Mit Oberbürgermeister Christian Thieme habe ich abgestimmt, dass wir eine Jury einberufen und mit Persönlichkeiten besetzen möchten, die weitere Vorschläge, Ideen und Initiativen zum An- und Gedenken an das jüdische Leben in Zeitz bewerten und die Spenden dafür freigeben. Auch die Arbeit des Simon-Rau-Zentrums soll unterstützt werden.“
Diese Aussage ist allerdings eine klare Abweichung vom Spendenziel im Aufruf. Alles, was nicht für den Ersatz der Stolpersteine gebraucht wird, sollte an das Simon-Rau Zentrum (SRZ) gehen. Für Enrico Kabisch, Leiter jener Einrichtung, ist das ärgerlich: „Ich denke, der Landrat ist mit der Situation überfordert und hätte nie erwartet, dass die Spendenaktion so erfolgreich wird. Der Oberbürgermeister von Zeitz verfolgt dabei offenbar lokalpatriotische Interessen und interpretiert den Spendenaufruf deshalb eigenmächtig um.“ Denn das Simon-Rau Zentrum liegt in Weißenfels und nicht in Zeitz.
Ärgerliches Geschacher
Offenbar hat der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme dabei aber einen ganz entscheidenden Punkt im deutschen Spendenrecht übersehen. Mittel, die für einen klaren Zweck gesammelt werden, müssen auch dafür eingesetzt werden. Für Kabisch ist klar, dass die Formulierung im Spendenaufruf wenig Interpretationsspielraum zulässt, „und als Jurist sollte Herr Thieme das wissen.“
Das Simon Rau-Zentrum arbeitet rein ehrenamtlich und erhält keinerlei institutionelle Förderung. Auch Kabisch war von der Spendenbereitschaft überrascht: „Es ist natürlich überwältigend, dass sich so viele Menschen solidarisch erklären. Persönlich würde ich mir wünschen, dass bei Solidaritätsbekundungen für lebende Jüdinnen und Juden ebenso überwältigend gehandelt wird.“ Er wünscht sich eine schnelle Klärung und ein Handeln im Sinne der Spenderinnen und Spender, wie es der Aufruf versprach und sieht sich auch rechtlich auf der sicheren Seite, die überzähligen Spenden nach der erneuten Stolperstein-Verlegung zu erhalten.
Spenden an weitere Projekte?
Das Landratsamt begründet die Idee, weitere Projekte aus Zeitz mit einzubeziehen, damit, dass diese ihren Bedarf angemeldet hätten: „Dazu gehören zum Beispiel die Verlegung zusätzlicher Stolpersteine in Zeitz, die Aufarbeitung der Schicksale der jüdischen Menschen im KZ-Außenlager Wille bei Zeitz oder Projekte zur Aufarbeitung der Schicksale jüdischer Familien an den Schulen in Zeitz. So hat zum Beispiel der Vorstand der Jüdischen Allianz Mitteldeutschland (JAM) die Auffassung vertreten, dass die eingeworbenen Mittel die Chance böten, durch gezielte Bildungs- und Erinnerungsarbeit auf regionaler Ebene ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt zu setzen und antidemokratischen Strömungen entgegenzutreten.“
Landratsamt täuscht Öffentlichkeit
Unserer Redaktion liegt allerdings das originale Schreiben der Jüdischen Allianz Mitteldeutschland an Landrat Ulrich, den Oberbürgermeister Thieme und den Grünen-Abgeordneten Sebastian Striegel von Ende Oktober vor. Darin werden keinerlei Forderungen nach einer Umverteilung der Gelder gestellt, im Gegenteil: „Für viele Spenderinnen und Spender war die Zweckbindung ein entscheidender Anreiz zur Unterstützung. Sollte der Zweck verändert oder erweitert werden, etwa durch eine Juryentscheidung zur Förderung alternativer Initiativen, bestünde die Gefahr, das Vertrauen der Spenderinnen und Spender zu enttäuschen“, heißt es darin. Die JAM sieht sogar die Gefahr für die Spendenbereitschaft: „Eine solche Zweckentfremdung wäre nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch moralisch nicht vertretbar und könnte der Gedenkkultur in unserer Region nachhaltig schaden.“ Der vom Presseamt als Rechtfertigung für die Umwidmung der Spenden zitierte Teilsatz in der Erklärung des JAM, der auf eine Bitte um Berücksichtigung bei der Spendenvergabe hindeuten könnte, entspricht also nicht der Wahrheit. Das muss als eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit durch das Landratsamt eingeordnet werden.
Nach den Ethikregeln des Deutschen Fundraisingverbandes Punkt 2 kann das Landratsamt alle Spenderinnen und Spender befragen, ob sie mit einer Umwidmung ihrer Spende einverstanden sind. Das hat der Burgenlandkreis aber nach eigener Aussage nicht vor und bestätigt sogar die Rechtmäßigkeit der Zweckbindung. „Alle eingegangenen Spenden werden uneingeschränkt entsprechend dem Willen der Spenderinnen und Spender eingesetzt. Hiervon kann, schon aus Rechtsgründen, nicht abgewichen werden“, so die Pressestelle auf unsere Anfrage.
Rechtslage klar
Trotz dieser Rechtslage verkündet das Amt in derselben Stellungnahme, dass es alle Spenden noch einmal auf die Zweckbindung prüfen will, „ob eine Erweiterung des Spendenzwecks in diesem Sinne durch den individuell angegebenen Spendenzweck zulässig ist oder vom Spender sogar verlangt wird.“ Doch der Spenderwille und auch der Spendenaufruf sind nicht unklar. Es bleibt der unwürdige Eindruck, dass das Landratsamt und der Oberbürgermeister von Zeitz, der sich dazu nicht äußern wollte, Projekte vorschieben, um mehr Spendengeld für die Stadt Zeitz zu gewinnen.
Die zehn Stolpersteine sollen am 28. November 2024 in Zeitz neu verlegt werden. Danach könnte, folgt man dem Spendenaufruf, die Überweisung der Restsumme an das Simon Rau-Zentrum erfolgen. Dieses lädt übrigens alle Akteure, die sich mit dem jüdischen Leben in Zeitz, Naumburg und anderen Städten des Burgenlandkreises beschäftigen, ein, an einer neuen Dauerausstellung mitzuwirken. Denn das Zenrum plant in naher Zukunft in neue Räumlichkeiten ziehen. Das Spendengeld wäre der erste Schritt für die Ausstellung und soll die lange und oft wenig bekannte Geschichte der jüdischen Gemeinden in der gesamten Region beleuchten. „Die Ausstellung würdigt damit nicht nur das jüdische Erbe der Region, sondern schafft auch einen Raum für Erinnerung, Aufklärung und den Dialog über Antisemitismus und Toleranz“, so der Vorstand des Vereins in einer Presseerklärung.
Bildquellen
- Stolpersteine ehemals Auguste Lewy: Initiative Stolpersteine
UPDATE: Wie der Landrat dem Simon Rau Zentrum mitteilt, hat wohl die Vernunft Oberhand gewonnen. Abzüglich der Spenden für die Wiederbeschaffung der Steine und die Kosten der durch Schüler einer Zeitzer Schule kurzfristig mit einem 3D-Drucker erstellten Ersatz-Steine, wird der Betrag an das Simon-Rau-Zentrum überwiesen. Eine Jury wird es nicht geben.