„Die Haushaltskürzungen bedrohen Projekte im Globalen Süden“

Matthias Renner leitet seit einigen Jahren den Bereich Philanthropie bei Handicap International Deutschland. Als Experte im Non-Profit-Bereich sprach er mit Matthias Daberstiel über Kontaktaufnahmen zu Major Donors und macht Mut, trotz der enormen Kürzungen der staatlichen Mittel in der internationalen Hilfe, Wege zu finden, weiterhin aktiv zu sein.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für einen Leiter Philanthropie bei Handicap International aus?

Den typischen Tag gibt es, glaube ich, gar nicht. Als erstes verschaffe ich mir gern einen Überblick, was so an Neuigkeiten in der Welt passiert. Ich schaue dazu auch schon mal in die New York Times. Als internationale Organisation bekommen wir täglich auch vielfältige interne Infos, und ich bin stetig im Austausch mit unseren internationalen Kolleginnen und Kollegen.

Der typische Arbeitstag kommt nicht ohne Telefonate aus. Mit Spenderinnen und Spendern versuche ich mich aber auch wenn möglich persönlich zu treffen. Das ist heutzutage gar nicht mehr so einfach. Seit Corona erleben wir da eine gewisse Zurückhaltung. Und ja, ich habe auch sehr, sehr viel Schreibarbeit. Ich habe ein mobiles Büro in Köln, und von dort verschicke ich auch mal eine Erbschaftsbroschüre. Ich bin aber viel unterwegs, fühle mich manchmal wie ein Satellit.

Sind Sie eigentlich Quereinsteiger ins Fundraising?

Eigentlich nicht. Meinen ersten Fundraising-Kurs habe ich 1998 oder 1999 gemacht und bin direkt in den Non-Profit-Bereich eingestiegen. Da habe ich in einem Umweltforschungsinstitut gearbeitet und gleichzeitig neben der inhaltlichen Arbeit auch die Pressearbeit mit betreut. Das Fundraising hat mich interessiert, und ich habe mich sukzessive weitergebildet. 15 Jahre lang war ich beim Arbeiter-Samariter-Bund, beim Bundesverband in Köln, für Marketing und Fundraising auch mitverantwortlich. Da ging es auch viel darum, die Landes- und Regionalverbände zu beraten und zu betreuen, aber auch den ganzen Markenauftritt weiterzuentwickeln.

Ist es schwieriger geworden, vermögende Menschen von der Arbeit im Globalen Süden zu überzeugen?

Ich spüre im Moment schon eine gewisse Zurückhaltung in Deutschland. Das hat sehr viel mit der augenblicklichen politischen Situation zu tun. Das ist hier viel ausgeprägter als das, was ich bei den Kollegen in anderen Ländern wahrnehme. Es ist auf jeden Fall eine große Herausforderung, Menschen zu überzeugen, dort zu helfen. Aber es spornt uns natürlich auch an.

Viele Organisationen bauen ihr Großspenden-Fundraising aus. Wird der Wettbewerb härter?

Zweifelsohne wird der Wettbewerb größer, aber ich gehe davon aus, dass wir gerade in Deutschland mit den Vermögen, die es hier gibt, auf jeden Fall Potenzial haben, das wir heben können. Viele haben mittlerweile verstanden oder gesehen, dass das der Bereich ist, in dem wahrscheinlich überhaupt noch ein gewisses Wachstum zu erzielen ist. Ich denke, viele kompensieren dort auch etwas, was auf anderen Kanälen im Moment nicht mehr zu erzielen ist.

Wird es schwieriger, mit den Leuten direkt ins Gespräch zu kommen. Gibt es Alternativen?

Wir versuchen beispielsweise auch, über Events in den persönlichen Kontakt zu kommen. Wir sind Mitglied in der Nachlass-Initiative ‘Das Prinzip Apfelbaum’. Da werden regelmäßig Vernissagen veranstaltet oder auch Konzerte. Das ist auch ein besonderer Anlass, in den persönlichen, direkten Kontakt und Austausch zu kommen. Video-Calls sind ebenfalls eine Alternative. Ich finde aber immer noch, dass es sich am Telefon gut kommunizieren lässt.

Das Netzwerk LinkedIn wird auch als Kontaktmöglichkeit diskutiert. Hat das Potenzial?

Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, wenn ein soziales Netzwerk Relevanz in dem Bereich hat, dann ist es LinkedIn. Gerade, weil es den direkten Austausch ermöglicht. Ich sehe es im Moment stärker im Bereich der Unternehmenskooperation oder auch der Kommunikation mit Stiftungen. Aber wir wissen ja auch, dass der eine oder andere Unternehmer auch irgendwo Großspender als Privatperson ist. Insofern ist es sinnvoll, diesen Kanal zu nutzen.

Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

Unsere Welt ist gekennzeichnet von Krisen, und es gibt so viel Hilfsbedarf weltweit. Gleichzeitig werden die institutionellen Mittel von staatlicher Seite gekürzt. Die aktuellen Haushaltskürzungen in Deutschland sind so massiv, dass Projekte bedroht sind. Wir müssen uns wahrscheinlich deshalb stärker fokussieren und konzentrieren. Dabei ist unser Auftrag für eine inklusive, solidarische Welt bei weitem noch nicht erfüllt. Von daher gibt es auch weiterhin viel zu tun. Deshalb werden wir unsere Strategie anpassen müssen. Dazu gehört auch die Frage, ob wir weiter wachsen können. Aktuell sehe ich eher, dass wir zusehen müssen, dass wir das, was wir tun, konsolidieren und fortführen können.

Die Rede ist von über zwei Milliarden Euro Einsparung im aktuellen Haushalt und im nächsten Jahr in Deutschland.

Es ist unmöglich, solche enormen Kürzungen zu ersetzen. Für uns ist es gleichzeitig auch Ansporn, weiter in unserem Bereich möglichst viele Gelder zu akquirieren und einzunehmen. Ja, es ist herausfordernd. Ja, es ist ehrgeizig, aber wir stecken den Kopf nicht in den Sand.

Was würde man sich denn in dem Arbeitsbereich Philanthropie heute wünschen?

Toll wäre, wenn wir Netzwerke hätten, wo man Philanthropen an einer Stelle treffen kann und ihnen unsere Ideen und Vorstellungen einfach anbieten könnte. Sicherlich müssen wir zukünftig auch noch digitaler werden. Da gibt es noch einige Hausaufgaben.

Bildquellen

  • Matthias Renner: Caroline Lucius/stiftungsmarktplatz.eu

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