Fördermittel bedingen keine politische Neutralität

Eine Strategie rechtsextremer Kräfte und verfassungsfeindlicher Parteien ist es, mit dem sogenannten Neutralitätsgebot Vereine, die Fördermittel erhalten und auch Lehrkräfte mundtot zu machen. Ein Rechtsgutachten widerlegt diesen Ansatz jetzt.

Lehrkräfte und andere Akteure, die in der politischen Bildung tätig sind, stehen schon seit Jahren vor erheblichen Herausforderungen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellt fest, dass „rassistische und rechtsextreme Positionen im öffentlichen und politischen Raum deutlich zugenommen haben“ und dass sich solche Initiativen und pädagogisches Personal, wenn es denn Stellung gegen solche Positionen bezieht, sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, sie würden das staatliche Neutralitätsgebot verletzen.

Meldeportale sollen einschüchtern

Gerade erst ist ein „Infoportal Neutral Lehrkraft“ der AfD in Niedersachsen online gegangen, das behauptet, Schüler würden im Unterricht indoktriniert und es würde gegen die blaue Partei gehetzt. Es fordert daher auf, solche Fälle per E-Mail zu melden. Diese Versuche gab es schon einmal, bis 2019 der Datenschutzbeauftrage in Mecklenburg-Vorpommern ein solches Portal wegen Datenschutzverstößen verbot. Nun ist es wieder da, diesmal nicht mit Online-Fragebogen, sondern mit einer E-Mailadresse. Daten werden also offiziell nicht gesammelt.

Die Niedersächsische Kultusministerin Julia Willie Hamburg kritisierte das Portal: Dies sei ein weiterer bedenklicher Einschüchterungsversuch gegen engagierte Lehrkräfte. „Zudem unterschlägt die AfD auf ihrem Infoportal einen bedeutenden Teil, nämlich den Bildungsauftrag und das Eintreten für Demokratie. Es ist demokratische Pflicht von Lehrkräften, Demokratie- und Menschenfeindlichkeit ebenso wie Geschichtsrevisionismus entschieden entgegenzutreten und einzuordnen, auch wenn es sich um Positionen politischer Parteien handelt. Verfassungsfeindlichen Aussagen zu widersprechen, ist eine Beamtenpflicht und darf nicht durch falsch verstandene Neutralität unterlassen werden.“ Auch die Lehrergewerkschaft GEW kritisiert das Portal und bietet seinen Mitgliedern Rechtsberatung an.

Fördermittel gleich Neutralität?

In dem Zusammenhang ist ein aktuelles Rechtsgutachten von Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz a.D. aufschlussreich, das gerade im Rahmen eines Untersuchungsausschusses in Sachsen vorgelegt wurde. Dort hatte der Sächsische Rechnungshof behauptet, die durch Zuwendungen aus Demokratie-Förderprogrammen des Freistaates finanziell unterstützten zivilgesellschaftlichen Initiativen würden gegen das Neutralitätsgebot verstoßen.

Hufen sieht das völlig anders. Er kritisierte zuerst den Rechnungshof dafür, dass er mit dieser Einschätzung seine Kompetenzen weit überschritten habe. Das gehöre nicht zu dessen gesetzlichen Aufgaben. Gleichzeitig macht er inhaltlich deutlich, dass politische Bildung und Demokratiearbeit stets auf ethische Werte und Verfassungsziele gerichtet sei und deshalb nie „neutral“ sein können. Auch sind sie Ausdruck der streitbaren Demokratie und verpflichtende Staatsaufgabe, die auch und gerade durch private Organisationen wahrgenommen werden kann.

Er betont auch, dass die Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses, genauso wie im Unterricht an Schulen und Bildungseinrichtungen, ein herausragendes Verfassungsprinzip darstellt. „Sie darf nicht durch Neutralitätsgebot und Chancengleichheit der Parteien verkürzt werden.“ Hufens Ansicht nach dürfen beide Verfassungsgüter nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Rechnungshof in der Kritik

Bei vielen sächsischen Initiativen hatte sich nach dem Bericht des Rechnungshofs Ernüchterung eingestellt. Dort war die Geldannahme vom Staat mit einer Pflicht zur Äußerung im Sinne des Staates gleichgesetzt worden. Hufen widerspricht hier deutlich: „Die privaten Träger sind weder Instrument noch „Sprachrohr“ des Ministeriums und auch nicht in gleichem Maße an ein – wie auch immer definiertes – Neutralitätsgebot und die Chancengleichheit der Parteien gebunden.“

Im Endeffekt bestätigt dieses Gutachten das Neutralitätsgebot, wie es nach dem Beutelsbacher Konsens für die politische Bildung festgelegt wurde. Wenn sich Parteien oder Personen nicht verfassungstreu äußern, darf daran öffentlich Kritik geübt werden. Politische Kontroversen sollen sogar ausdrücklich im Unterricht diskutiert werden, um es den Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Gutachten stärkt Gemeinnützigkeit

Dieses Gutachten wirft damit auch ein Schlaglicht auf die Debatte um die Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch „überwiegende politische Betätigung“. Denn was ist jetzt politische Betätigung und was eine verfassungskonforme Meinungsäußerung? Umso bedauerlicher, dass der aktuelle Referentenentwurf der Gemeinnützigkeitsreform, entgegen der Aussagen im Koalitionsvertrag, keine klärende gesetzliche Grundlage zu diesem Thema enthält. Die Rechtslage scheint nach diesem Gutachten klar: gemeinnützige Organisationen dürfen sich politisch äußern. Nach Hufens Auffassung darf die Bildungsarbeit freier Träger Gefahren für die Menschenwürde, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, für die Grundrechte und für Staatsziele wie den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen und die europäische Einigung auch und gerade dann abwehren, wenn diese Gefahren von Programmen politischer Parteien ausgehen. Für den Staatsrechtler ist klar, dass weder das Neutralitätsgebot noch die Chancengleichheit politischer Parteien es verbieten, sich sachlich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und dabei auch die entsprechende Partei oder führende Funktionäre kritisch und konkret zu benennen.

Bildquellen

  • Rechtsweg: Gerd Altmann--Pixabay

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