„Am Ende geht es im Fundraising um Emotionen“

Menschen für die gute Sache zu gewinnen ist komplizierter geworden. Wir sprachen mit Diplom-Psychologin und Fundraising-Beraterin Danielle Böhle über psychologische Effekte, Ethik, veränderte Erwartungen und gute Kommunikation.

Braucht man zwingend psychologische Grundkenntnisse für den Beruf im Fundraising?

Kurz gesagt, nein. Aber sie helfen.

Mit welchen psychologischen Themen sollte man sich beschäftigen, wenn man im Fundraising arbeitet?

Da muss ich etwas ausholen, weil es um das Grundverständnis in der Psychologie geht. Als ich anfing, Psychologie zu studieren, hoffte auch ich: Ich studiere Psychologie, und dann werde ich die Menschen analysieren können. Die sagen was und ich weiß sofort, wie die ticken, was die machen, und ich werde sie vorhersagen können. Was du aber ganz schnell im Psychologiestudium lernst, ist: Das wirst du niemals können! Das funktioniert nicht. Die Psychologie scheitert da ehrlich gesagt seit 100 Jahren dran, die Menschen wirklich vorherzusagen. Es gelingt maximal punktuell. Wie die Menschen ticken, wie das Gehirn tickt, wissen wir nicht und werden es vielleicht auch nie völlig einschätzen können. Es kommt auf viele Faktoren an, die man nicht alle kontrollieren kann.

Aber ganz nutzlos war das Studium ja nicht.

Richtig. Wo das Psychologiestudium hilft und was ich auch versuche zu vermitteln ist, dass Menschen vielfältig sind, und trotzdem gibt es auch Regeln. Perspektivwechsel finde ich zum Beispiel sehr wichtig für das Fundraising. Wir wissen rational, andere Menschen sind anders und denken anders. Und doch laufen wir mit einem egozentrischen Blickwinkel durch die Welt. Egozentrisch bedeutet: So sehe ich die Welt und am Ende werden wahrscheinlich alle anderen das auch so sehen wie ich. Dem ist aber nicht so. Spenderinnen und Spender blicken vielleicht ganz anders auf die Kommunikation als ich, die diesen Mailingtext geschrieben hat. Es ist ja auch die Frage, wo die Person den Brief liest. Es ist was anderes, ob ich an der Arbeit einen Spendenbrief aufmache oder zu Hause. Da bin ich in einer ganz anderen gedanklichen Verfassung. Das zu akzeptieren und mich auf andere Menschen einzustellen, dafür hat mir das Studium sehr geholfen.

Wissen wir denn auch genügend über unsere Spenderinnen und Spender? Was sind so deine Erfahrungen?

Ehrlich? Nein, wir wissen viel zu wenig. Natürlich kann man aus Studien etwas ablesen, aber wir erfahren nur etwas über Wahrscheinlichkeiten. Ich weiß also, es gibt eine Wahrheit über eine Gruppe, die aber nicht für den Einzelnen stimmt. Gern werde ich zum Beispiel gefragt, wie die unterschiedlichen Generationen ticken. Dann antworte ich, die Jungen sind so, die Älteren eher so und dann bekomme ich als Antwort: „Aber es sind doch nicht alle gleich“. Nein, natürlich nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es so ist. Ich kann Unterschiede zwischen Männern und Frauen statistisch erheben und sagen: Da gibt es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Und trotzdem weiß ich, das muss niemals für die einzelne Frau und den einzelnen Mann zutreffen. Diesen scheinbaren Widerspruch gedanklich zusammen zu kriegen, habe ich im Studium gelernt.

Wir fischen also im Trüben?

Es geht darum herausfinden, wo die Wahrscheinlichkeit höher ist, mit einer bestimmten Art von Kommunikation die Spende zu erhöhen. Die Wahrscheinlichkeit in der Massenkommunikation zu erhöhen, heißt nie, dass der Einzelne tatsächlich spendet, wenn man den Brief „psychologisch korrekt“ formuliert. Der Einzelne kann den trotzdem wegschmeißen, egal, wie gut ich das als Fundraiser mache. Es geht darum, die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs zu erhöhen. Das kann ich aber nur, wenn ich mehr über meine Spenderinnen und Spender weiß. Da ist viel zu wenig bekannt, weil auch sehr wenig eigene Marktforschung betrieben wird.

Es gibt auch wenig deutsche Forschung speziell zum Spendenthema, zum Fundraising. In Amerika gibt es da deutlich mehr, weil dort das Fundraising einen höheren Stellenwert hat. Die Forschung finde ich aber oft sehr praxisfern. Das sind eher Laborexperimente. Die Forschenden kommen außerdem selten aus dem Fundraising und verkünden dann ganz toll: Wir haben festgestellt, mit den großen Kulleraugen und den traurigen Kindern werden mehr Spenden fließen. Schöne wissenschaftliche Erkenntnis. Aber wollen wir das so umsetzen? Nein. Das ist wenig hilfreich.

Ich finde, wirklich gute Grundlagen-Forschung zum Thema Fundraising gibt es nicht. Und es gibt noch weniger Forschung in den Organisationen selber über die eigenen Spenderinnen und Spender. Viele Organisationen analysieren kaum bis gar nicht ihre eigenen Daten: Was passiert, wenn ich etwas raussende? Wer reagiert, wer nicht und wie? Auch über die Altersstruktur ist fast nichts bekannt. Es finden viel zu wenige Spenderbefragungen statt.

Ist das auch ein Grund, warum wir uns in der Neuspendergewinnung so schwertun? Mit der Nachkriegsgeneration war alles irgendwie einfacher.

Tja, die Nachkriegsgeneration ist eine so unfassbar dankbare Zielgruppe. Die werden wir wahrscheinlich nie wiederkriegen. Aber wie sind die denn groß geworden, also sozialisiert, was war wichtig für diese Menschen? Für diese Generation waren Tugenden wie Pflicht, Gehorsam, Opferbereitschaft wichtig. Die denken noch heute: Ich habe nicht viel, aber ich gebe trotzdem ab. Autoritäten spielen eine wichtige Rolle. Und Organisationen sind eine Autorität, besonders die großen, bekannten. Ein kirchlicher Träger ist eine besondere Autorität. Wenn so eine Autorität sagt, es geht jemandem schlecht, du solltest etwas von dir abgeben. Dann machen die das – trotz kleiner Rente. Die Generation denkt: Ja, das ist meine Pflicht. Das ist mein Opfer. Das bringe ich gerne.

Das ist natürlich super fürs Fundraising. Ich schicke einen Brief und sage: Spende! Und ich bekomme sie. Und dann schicke ich noch einen und kriege wieder eine Spende. Und sei es nur eine kleine, weil die Sichtweise der Generation ist: Ich muss irgendwas geben. Mich interessiert das Thema nicht, ich habe eigentlich damit nicht viel zu tun. Aber die Organisation sagt, ich soll jetzt bitteschön was abgeben. Dann tue ich das.

Doch nun ist das anders?

Es gab in allen westlichen Gesellschaften einen Wertewandel mit den Babyboomern. Weg von diesem Gruppendenken, von der Opferbereitschaft hin zur individuellen Entscheidung. Ab da wurde wichtig: Was will ich, was interessiert mich, was ist für mich relevant? Ich will wahrgenommen werden, ich will beteiligt werden. Demokratie wurde wichtig, also Partizipation. Diese Individualität zu bedienen ist für die Organisationen viel schwieriger.

Was wird erwartet?

Diese Menschen erwarten heute ein Angebot, das zu Ihnen passt. Und diese Generation ist auch mit Werbung groß geworden ist und sagt, man muss auf Spendenbriefe nicht reagieren und kann die auch wegschmeißen. Die alte Zeit wird nicht zurückkommen. Ich muss aber sagen, dass sich mittlerweile die Organisationen zumindest auf die Kommunikation besser eingestellt haben, Menschen viel besser abholen. Auch die Sprache in den Spendenbriefen hat sich schon gewandelt und trifft die Babyboomer viel besser als noch vor einigen Jahren. Aber man wird trotzdem nicht diese Responsezahlen erreichen, die man mit einer opferbereiten und pflichtgemäß spendenden Gruppe erreicht. Auch hier gilt. Das ist der Blick auf die jeweiligen Gruppen als Ganzes. Natürlich gibt es auch tugendhafte, pflichtbewusste Babyboomer, aber die Kommunikation wird einfach schwieriger.

Beim letzten Fundraising-Kongress empfand eine junge Kollegin einen Handschriftenautomaten, der eine persönliche Einladung als Postkarte schrieb, als Manipulation. Darf man solche psychologischen Effekte nicht einsetzen?

Ich finde, man darf es nutzen. Warum sollte man sich selber im Weg stehen? Wenn die blaue Unterschrift oder die persönliche Karte mehr Spenden bringt, ist das völlig okay. Die ältere Generation wüsste wahrscheinlich gar nicht, das sowas geht. Die Jüngeren kennen das eventuell schon von Firmen und sind da weniger kritisch.

Ich erlebe oft ungewollte, unkluge Kommunikation, wo ich Spenden verringere, ohne das zu wollen. Das will doch auch kein Spender und keine Spenderin, weil das ja Geld kostet. Schlecht und für den Mülleimer zu kommunizieren, ist schlimmer. Es ist nur wichtig, dass man um diese psychologischen Mechanismen weiß. Also, dass ich verstehe, wie wirkt etwas in der Psychologie, warum nutze ich das? Damit ich dann informiert entscheiden kann, ob ich das nutze oder aus ethischen Gründen drauf verzichte. Wenn die junge Kollegin sich nicht wohl mit dem Handschriftenautomat fühlt, ist es in ihrem Fall genauso richtig, ihn nicht einzusetzen.

Incentives sind ja auch ein umstrittenes Thema in diesem Zusammenhang.

Ja, man muss halt wissen, dass die Leute, wenn sie etwas geschenkt bekommen vor allem aus Reziprozität und nicht aus Überzeugung spenden. Auch der Ankereffekt ist ein psychologisches Prinzip, mit dem ich Menschen beeinflusse. Dabei nenne ich gezielt Geldsummen in Spendenbeispielen, die die Höhe der Durchschnittsspende beeinflussen. Als Organisation muss ich das im Zweifel vor Spendern und Spenderinnen rechtfertigen. Es braucht eine rationale, faktenbasierte Entscheidung für oder gegen die Nutzung solcher Effekte.

Kommen wir von der Spendenbitte, zum Spendendank. Worauf sollten die Organisationen da achten?

Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Energie in den Spendenaufruf geht und wie wenig in den Dank. Spendendank ist oft nur eine Pflichtübung. Auf einem schlichten DIN A4-Blatt, dem Geschäftspapier, vor drei Jahren inhouse getextet und standardmäßig rausgeschickt. Das finde ich sehr schade, weil der Dank so wichtig ist. Zum einen aus Wertschätzung und zum anderen ist er nachweislich der größte Treiber der Spenderbindung. Das heißt, er lohnt sich auch finanziell.

Wo ist das Problem?

Leider ist der Effekt des Spendendankes – und der Spenderbindung allgemein – nicht so gut messbar, wie der Response beim Spendenaufruf. Keiner kann sicher sagen, dass jemand spendet, weil er vor drei Monaten ein Dankschreiben bekommen hat. Aber gerade die letzten Krisen haben gezeigt: Wer eine gute Dankkultur und Bindung hat, kann auf treue Unterstützerinnen und Unterstützer zählen.

Wie wird aus der Pflichtübung eine Kür?

Ein Dank darf sehr gerne emotional sein. Da dürfen auch Storytelling und ein Bild rein. Wichtig ist, dass ich etwas Positives kommuniziere, damit die Spenderinnen und Spender die Wirkung ihrer Spende sehen und sich mitfreuen können. Im Dank müssen deshalb auch die Spenderinnen und Spender im Mittelpunkt stehen, nicht die Organisationen. Wenn die Organisation stattdessen nur von sich erzählt, ist ein Dankbrief nicht so wirkungsvoll. So nach dem Motto: „Danke für Ihre Spende. Damit haben wir dies und jenes gemacht und wir sind so gut, weil wir das schon solange alles so toll machen!“ Da dankt sich die Organisation mehr selber als der Person, die wirklich gegeben hat. Aber um die geht es!

Hier haben wir auch ein Generationsproblem. Die ältere Generation würde aus ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer Opferbereitschaft heraus wahrscheinlich ohne Dank weiterspenden, weil das wirklich so verinnerlicht ist. Aber bei den Babyboomern? Die denken viel eher: „Ich kriege hier nicht mal einen Dank? Da bin ich raus!“ Aber wenn der Dank sie emotional erreicht und man ihnen sagt: „Hey! Applaus, Applaus, Applaus.! Das hast du gut gemacht. Du persönlich hast das mit deiner Spende erreicht. Du hast damit diese Wirkung erzielt.“ Dann macht das ganz viel mit den Menschen, das rührt das Herz. Aber das geschieht leider noch zu selten.

Was ist die Realität?

Ich erlebe oft eine sehr bürokratische Sprache. Der Dank klingt wie vom Finanzamt, alles ist sehr beschreibend. Es klingt, als hätte es das Fachreferat formuliert. Die machen aber – richtigerweise – kein Fundraising. Die haben ein anderes Ziel und eine andere Zielgruppe. Oder man nutzt die auswendig gelernten Sätze, die man in einem Verwendungsnachweis bei Fördermittelgebern schreiben würde. Die stehen dann auch im Dankbrief. Da muss man das Gehirn „umprogrammieren“.

Sollte man also dann auch Zahlen und Fakten im Dank vermeiden?

Am Ende ist es schön, zu wissen, da wurden fünf Brunnen gebaut. Aber was mein Herz rührt, ist ja, dass da jetzt Menschen sind, die ein besseres Leben haben, die nicht mehr zehn Kilometer zum nächsten Brunnen laufen müssen, sondern für die sich das Leben verändert hat. Das will ich ja mit meiner Spende erreichen. Ich will ja nicht den schnöden Brunnen bauen. Stattdessen lese ich, dass in einer „Dorfumstrukturierungsmaßnahme“ fünf Brunnen gebaut worden. Fürchterlich! Diese Sprache ist in höchstem Maße unemotional.

In Ihrem Online-Workshop im November an der Fundraising-Akademie geht es um Psychologie, aber auch um das Texten von Briefen und Dankschreiben. Was können die Teilnehmenden erwarten?

Im Fundraising geht es um Emotionen. Aber welche Emotionen gibt es eigentlich und wie können wir die einsetzen? Das ist zum Beispiel eine spannende Frage. Es ist halt ein Unterschied, ob ich mitleide oder mich mitfreue. Stelle ich das Problem in den Fokus (Leid) oder stelle ich den Erfolg, die Wirkung der Spende, in den Fokus (Freude)? Man hat ja immer gelernt: Beschreibe das Problem, dann die Lösung und lass dafür spenden. Das ist aber nur der eine Weg. Wenn ich die Wirkung in den Vordergrund stelle, muss ich das Ganze andersrum aufziehen. Und das trainieren wir an konkreten Beispielen. Wir werden das ziemlich praxisorientiert angehen und uns Texte als Beispiele für Kommunikation anschauen, Texte schreiben und analysieren. Das kann ich in der Praxis natürlich auch ins gesprochene Wort übertragen.

Ist das auch was für alte Hasen?

Aber klar! Gerade denen fällt ja ein Umdenken schwerer. Gerade, wenn man seine Briefe traditionell schon so lange so ähnlich textet. Hier möchte ich eine alternative Kommunikation und neue Ideen anbieten – passend zu den Kommunikationsvorlieben künftiger Generationen.

Bildquellen

  • Danielle Böhle: privat

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner