„Bei öffentlichen Fördermitteln vergeht mir die Freude“

Sind Bürgerstiftungen noch aktuell? Darüber sprachen wir mit Angelika Kell. Sie ist Mitgründerin und seit 2008 Vorstand der Stiftung Bürger für Leipzig. Ein Interview über kreatives Fundraising und Ehrenamt.

ngo-Dialog: Der Bundesverband deutscher Stiftungen hat gerade festgestellt, dass es im Osten der Republik immer noch zu wenige Stiftungen gibt beziehungsweise gegründet werden. Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Und ist das gut oder schlecht?

Angelika Kell: Es ist dringend nötig, dass wir das Stiften als besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements erklären und dazu motivieren. Ich tu das auch gern und häufig. Dass die politischen Systeme zwischen 1933 und 1990 das Wirken und Entstehen von Stiftungen blockiert haben, wirkt auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nach. Vom fehlenden Kapital ganz zu schweigen. Wir brauchen mehr stifterisches Engagement, sei es durch Zustiftungen, die Einrichtung nicht-rechtsfähiger Stiftungen oder auch durch neue Gründungen. Und mehr mediale Aufmerksamkeit für das, was wir tun, schadet sicher auch nicht.

Welche Strategie verfolgt die Stiftung Bürger für Leipzig, um dem entgegenzuwirken?

Wir reden mehr darüber. Ich bin froh, dass wir die Zeit in der Pandemie genutzt haben, uns zum Thema Stiftungsfonds fortzubilden, eine der ersten Aktionen war, dem Thema auf der Website der Stiftung Raum zu geben.

Wir motivieren zum Stiften in jedem Newsletter, sprechen Steuerberater auf das Thema an. Die Beratung zum Fragen rund ums Testament werden wir mit zwei Anwälten dieses Jahr beginnen; das lag durch Corona auf Eis. Wir haben jetzt – zwanzig Jahre nach der Gründung – das erste Mal ein Ehepaar, das mit dem ganz klaren Ziel zu uns kam, eine Stiftung unter unserem Dach zu errichten. Das ist eine Stiftung, die sich dem künstlerischen Nachwuchs im Bereich Gesang widmet.

Wer sind Ihre typischen Spenderinnen und Spender?

Wie in vielen Bürgerstiftungen sind es überwiegend Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft. Es sind die Menschen, die sich mit ihrer Stadt identifizieren und unsere Arbeit für den sozialen Zusammenhalt wichtig finden. Es sind Personen, mit denen wir regelmäßig in Kontakt sind, die unseren Newsletter lesen, die Projekte miterleben wie Erzählcafé oder Bürgersingen.

Ihre Stiftung lebt von einem hohen Anteil von ehrenamtlichen Engagements. Ist das normal für Bürgerstiftungen oder ist es eher die Lösung für finanzielle Defizite?

Es kann nicht die Lösung sein, aber das Engagement der Zeitstifter*innen macht vieles möglich und stärkt die Verbundenheit mit der Stiftung. Wir behandeln Zeitstifter*innen genauso wie die Stifter*innen: Da machen wir keinen Unterschied; es werden alle eingeladen und bedankt.

Bei Projekten wie „Die Wunderfinder“ ist das ehrenamtliche Engagement sogar die Grundidee: Menschen schenken Kindern ihre freie Zeit, einmal im Monat. Oder bei Radeln ohne Alter: Im Sattel der Senioren-Rikschas sitzen Ehrenamtliche. Was wir aber brauchen, ist eine professionelle Koordination – und die muss eben unbefristet und bezahlt sein, sonst ist gutes Personal schnell über alle Berge. Naja, und Stellen für die Geschäftsführung zu finanzieren, ist ja immer das schwierigste.

Wir kämpfen sehr um die Ressourcen und danken für jeden Euro. Dass wir von leistungsstarken Stiftungen wie Drosos unterstützt wurden, hat uns extrem nach vorn gebracht. Wenn ich im Vergleich zur Förderung aus Stiftungsmitteln sehe, wie bürokratisch öffentliche Fördermittel beantragt und abgerechnet werden – da vergeht mir auch mal die Freude. Das müsste nicht so sein.

Auffällig sind aber auch ihre kreativen Fundraising-Aktionen, selbst aus abgelegtem Weihnachtsschmuck und alten Zeitungen machen sie noch Geld. Wie kam es dazu?

Einer unserer Spender kam mit der Idee, die alten Weihnachtskugeln einzusammeln. Und wir dachten: Okay, probieren wir es doch einfach aus, wir haben ja nichts zu verlieren. Und es lief von Anfang an prima. Der Ertrag von 900 Euro hat uns aber auch überrascht.

Die 9000 historischen Ausgaben der LVZ haben wir von einem unserer Stifter bekommen, der wiederum einer älteren Dame einen Gefallen tun wollte. Sie konnte das jahrzehntelang gesammelte Konvolut nicht länger behalten, und er hat es uns durchgereicht. Jahrelang tröpfelte der Absatz so vor sich hin. Seit 2018 haben wir in einer wirklich – auch mit vielen ehrenamtlichen Stunden – großen Aktion alle Ausgaben als Einzelprodukte im Webshop eingepflegt. Seither verkaufen wir ganz gut. Und die Leute sind wirklich großzügig: 20 Euro kostet das Original; es ist ein eher symbolischer Preis. Damals hat die LVZ 20 Pfennig gekostet.

In einem Beitrag des MDR war zu sehen, dass die von Leipziger Bürgern gespendeten Bänke immer wieder beschmiert und die Messingschilder der Spender entfernt werden. Ärgert Sie die Missachtung der Spende und was tun Sie dagegen?

Ich bin eigentlich sehr ausgeglichen, ein optimistischer Gemütsmensch, möchte ich sagen. Ich habe einmal bei Instagram gesehen, dass sich ein „Künstler“ bei Youtube damit brüstete, eine Patenbank zu taggen. Einfach die Latte abgebaut, auf dem Fahrrad in die Werkstatt gebracht, bearbeitet und wieder angebaut. Ich habe diesen Post mit harschen Worten kommentiert, und die Reaktion war: „Heult leise“. Ich gestehe: Mir platzt da der Kragen. Es steht eine Plakette dran, hier wird einer verstorbenen Person gedacht – zählt offenbar wenig angesichts des Ruhmes in der Szene. Wenn ich eine Idee hätte, wie wir die Graffiti-Community dazu bewegen könnten, das zu lassen, wäre ich froh.

Was wünschen Sie sich für das Fundraising Ihrer Stiftung in diesem Jahr?

Das Stiftungsvermögen ist auf dem Weg zur ersten Million – Scherz beiseite. Die 500.000-er Marke haben wir dank der Zustiftung der Schmid-Meier-Schmid-Stiftung „Singen“ gerade überschritten.

Im nächsten Jahr werden wir 20 Jahre alt. Ein guter Moment, um bei der Kapitalausstattung einen Weitsprung zu organisieren. Ansonsten fände ich phänomenal, wenn sich mehr Stiftungen aus den gut ausgestatteten alten Bundesländern finanziell in Ostdeutschland engagieren. Wir gehen damit vernünftig um – wir können das inzwischen!

Bildquellen

  • Angelika Kell: privat
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